Tempo auf deutschen Autobahnen als legitimer Ausdruck von Freiheit?

In Jahrzehnten unfallfreien Fahrens habe ich unzählige Situationen mit Rasern auf der Autobahn erlebt, da stellen sich mir heute noch die Nackenhaare, wenn ich nur daran zurückdenke. Nicht wenige Politiker, die für die Christlich Soziale Union im Bundestag sitzen, sollten sich einmal überlegen, ob es christlich und sozial ist, mit Tempo 200 und mehr über die Autobahn zu brettern und dabei ganz selbstverständlich zu erwarten, dass die freiwillig langsamer fahrenden Verkehrsteilnehmer ständig für sie mitdenken, damit nichts Schlimmes passiert.

Tempo 200 verwandelt ein Fahrzeug in ein Geschoss. Für den, der hinterm Steuer sitzt, mag das Freude bringen und vielleicht auch seinen täglichen Kick Adrenalin. Für alle anderen bedeutet das puren Stress. Ich finde, die Freiheit des Einzelnen hört da auf, wo er mit der Auslebung derselben seine Mitmenschen belästigt.

Das Rauchen in Kneipen und Restaurants
war einst auch so eine „Heilige Kuh“

Wer erinnert sich nicht an die hitzigen Debatten um ein Rauchverbot in Kneipen und Restaurants, die Anfang der 2000er Jahre geführt wurden? Nachdem viele Bundesländer ein solches Rauchverbot erließen, mit der Begründung des Gesundheitsschutzes, haben sich die Gemüter bemerkenswert schnell beruhigt. Selbst viele Raucher sagen heute, dass die Luft in Gaststätten viel besser sei, seitdem dort nicht mehr geraucht wird.

Genau ein solcher Effekt träte ein, wenn ein generelles Tempolimit auf Autobahnen beschlossen würde, davon bin ich überzeugt.

Die Freiheit der Raser endet dort, wo die Freiheit der anderen Autofahrer beginnt.

Anarchie und Putin

Nach Thomas Hobbes, sozusagen dem „Urvater“ der modernen Staatstheorie, befindet sich der Mensch im Naturzustand in einem Krieg „aller gegen alle“, was man gemeinhin als Anarchie bezeichnet. Erst der Staat, der „Leviathan“ (1651) könne diesen Zustand aufheben und für Frieden zwischen den Menschen sorgen. Auch für Immanuel Kant ist Frieden kein Zustand, in dem Menschen sich natürlicherweise befinden. In seinem berühmten Werk „Zum ewigen Frieden“ (1795) philosophiert er darüber, wie ein dauerhafter Frieden zwischen den Staaten möglich wäre, wenn von der Vernunft geleitete Maximen eingehalten werden.

Doch was, wenn die Auffassung der Menschen darüber, was vernünftig sei, stark auseinander geht? Was, wenn unser Verständnis von „Vernunft“ nicht die Maxime von Staatslenkern vom Schlage eines Wladimir Putin ist, sondern vielmehr das unverhohlene Streben nach Ausdehnung ihres Herrschaftsbereichs, wofür sie auch bereit sind den Wohlstand ihres Landes zu gefährden und Menschen zu opfern? Nicht wenige Politologen sind der Auffassung, dass auf zwischenstaatlicher Ebene selbst heute, trotz eines inzwischen komplexen und beinahe undurchschaubaren Geflechts internationaler Verträge und Handelsbeziehungen, ein Zustand der Anarchie anzutreffen sei.

Nach Putins Invasion in die Ukraine und damit in einen souveränen europäischen Staat, steht die sogenannte „westliche Welt“ wieder in einer Eintracht zusammen, wie man sie zuletzt aus der Zeit des kalten Kriegs kannte. Und wieder kann der Westen nicht einfach als „Polizei“ eingreifen und den Aggressor stoppen. Zuviel steht auf dem Spiel, auch angesichts der atomaren Pattsituation. Viel auf dem Spiel steht nun auch für die internationalen Großkonzerne (die Rüstungsindustrie einmal ausgenommen) und für die Internetmilliardäre dieser Welt. Sollte der Krieg in der Ukraine weiter andauern, wird der Westen nicht umhin kommen zu seinem letzten Druckmittel zu greifen: den totalen Importstopp fossiler Energieträger aus Russland. Dies wird nach Ansicht vieler Ökonomen zu einem beispiellosen Einbruch der Wirtschaftsleistung in Europa, aber auch weltweit führen, dessen Folgen heute unabsehbar sind. Fast sicher ist, dass Millionen Menschen arbeitslos würden, mit allen sozialen und mittelfristig auch politischen Konsequenzen. Auch die Ernährungssituation vieler Länder, allen voran in Nordafrika, darf schon heute als prekär bezeichnet werden, da diese in erheblichem Maße von Nahrungsmittelimporten aus der Ukraine und Russland abhängig sind. Fallen diese aus, wofür derzeit einiges spricht, dürften wir in naher Zukunft eine Flüchtlingswelle erleben, deren Dimensionen alles sprengt, was wir bisher gekannt haben.

Da für soviele mächtige Akteure nun soviel auf dem Spiel steht („Geld regiert die Welt“), habe ich mich gefragt, was würde eigentlich passieren, wenn Putin von einer Partei angegriffen würde, die de facto staatenlos ist? Auf internationaler Ebene herrscht, wie oben dargelegt, ein quasi anarchischer Zustand. Was, wenn sich in diesem staatenlosen und damit rechtsfreien Zwischenraum eine Organisation bildete, die so stark ist, dass sie Putin die Stirn bieten kann? Gegen welches Territorium könnte Putin sein Atomwaffenarsenal richten, wenn der Gegner über gar kein Territorium verfügt?

Impfskepsis

Ich bin tendenziell ein Befürworter von Impfungen, soviel schonmal vorweg. Ich möchte mich an dieser Stelle aber nicht über Mitmenschen auslassen, die das mit dem Impfen anders sehen. Vielmehr möchte ich einen Gedanken festhalten, der mir zu der Frage nach dem „Warum?“ für andere Sichtweisen und Entscheidungen kam.

Ein ehemaliger Chef von mir lebte das Motto „Bauch schlägt Kopf“ mit seiner Werbeagentur sehr erfolgreich. Es war sogar der Slogan, das Motto seines Unternehmens. Gerade in der Werbung macht man sich zunutze, dass Menschen viel lieber auf ihren Bauch hören, als auf ihren Kopf. Unternehmen bauen seit Jahrzehnten auf die Macht der Emotionen, indem sie diese über Werbung gezielt hervorrufen bzw. steuern und damit Konsumenten-Entscheidungen beeinflussen. Man denke beispielsweise an eine der erfolgreichsten Werbekampagnen aller Zeiten, den „Marlboro Man“, der im „Marlboro Country“ ein Leben in der Natur führt, mit Pferden, Lagerfeuer-Romantik und ursprünglicher Männlichkeit. Selbstverständlich nicht gezeigt wurden in diesen Werbespots die bedauernswerten Kreaturen, die dem Ruf „Come to where the flavour is“ zu oft folgten und später als Lungenkrebs-Patienten auf Palliativstationen dem nahenden Ende ihres Lebens entgegensahen.

Wissenschaftler wollen sogar herausgefunden haben, dass Bauchentscheidungen empirisch betrachtet meistens die richtigen sind, vor allem bei komplexen Entscheidungen: http://wirtschaftspsychologie-aktuell.com/magazin/bauch-schlaegt-kopf-bei-komplexen-entscheidungen/113/ Die Studien, auf die sich die Autoren dieses Artikels beziehen, habe ich mir nicht näher angeschaut, daher kann ich ihre Wissenschaftlichkeit nicht beurteilen. Jedoch scheint mir grundsätzlich einiges dran zu sein an dieser These.

Nun gibt es ein menschliches Phänomen, das z.B. der Psychologie-Professor Dr. Jürgen Gigerenzer beklagt. Gigerenzer hat sich übrigens ebenfalls mit dem Thema Bauchentscheidungen befasst und kommt zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen wie mein ehemaliger Chef. Er hat darüber sogar populärwissenschaftliche Literatur verfasst. Gigerenzer betont jedoch an anderer Stelle auch die Wichtigkeit des Denkens. So weist er in einigen seiner Publikationen darauf hin, dass die Menschen in der Schule noch immer nicht befähigt werden, Unsicherheiten und Risiken angemessen zu beurteilen. Zum Beispiel sagt er in diesem Vortrag: „Ein zentraler Teil von Wissen ist das Verständnis von Evidenz von Fakten und die Fähigkeit zum statistischen Denken. Statistisches Denken war einmal eine Revolution, nämlich der Ausgang des Menschen aus der Illusion der Gewissheit […]“

Eine der wenigen sicheren Gewissheiten des Menschen ist der Tod. Dieser kann verschiedene Ursachen haben. Man sagt zum Beispiel, jemand starb „eines natürlichen Todes“ und meint damit die sich zwangsläufig ergebende Implikation der biologischen Alterungsprozesse. Wenn ein Mensch nicht eines natürlichen Todes stirbt, so gibt es meistens ein einschneidendes Ereignis in seinem Leben, welches ursächlich für seinen Tod ist. So ist beispielsweise der Tod durch einen Verkehrsunfall denkbar.

Laut dieser Grafik: https://www.flüge.de/wp-content/uploads/sites/10/todesfaelle-pro-1-milliarde-reisekilometer.jpg ist es mit Abstand am gefährlichsten, sich auf ein Zweirad zu setzen, gefolgt vom Automobil. Da sich diese Statistik auf die Bezugsgröße „pro eine Milliarde Kilometer“ bezieht, muss man bei der Bewertung des persönlichen Risikos berücksichtigen, wieviele Kilometer man mit dem jeweiligen Verkehrsmittel tatsächlich zurücklegt. Beispielsweise beabsichtigt eine Person von Berlin nach Madrid zu reisen. Angenommen, sie macht ihre Entscheidung maßgeblich vom Risiko abhängig, auf der Reise zu verunglücken. Welches Verkehrsmittel würden wir ihr raten? Mit dem Auto beträgt die Entfernung rund 2.400 Kilometer. Mit dem Fahrrad sind es 2.100 Kilometer und per Direktflug können wir die Luftlinie annehmen: 1.870 Kilometer. Legen wir die Zahlen der oben verlinkten Grafik zugrunde, können wir das Risiko für die einzelnen Verkehrsmittel per einfachem Dreisatz ermitteln. Für das Auto beträgt es 2.400 / 1.000.000.000 * 2,9 = 0,00000696, das entspricht 0,000696 Prozent. Das heißt, ich muss diese Strecke 1.436 Mal mit dem Auto zurücklegen, um statistisch* dabei einmal zu verunglücken. Jetzt das Flugzeug: 1.870 / 1.000.000.000 * 0,003 = 0,00000000561 oder 0,000000561 Prozent. Um mit dem Flugzeug statistisch* einmal zu verunglücken, müsste ich 1.782.531 Mal von Berlin nach Madrid fliegen.

*) Achtung: Die statistische Wahrscheinlichkeit sagt nichts darüber aus, wann ein Ereignis eintritt. Dieses kann bei der ersten Reise eintreten oder auch erst bei der letzten (oder gar nicht bei 1.436 Autoreisen, sondern erst bei der 1.437sten). So gut wie sicher ist jeweils nur, dass es (irgendwann) eintritt.

Jetzt möchte ich es noch für das Fahrrad durchrechnen: 2.100 / 1.000.000.000 * 30 = 0,000063 oder 0,0063 Prozent. Mit dem Fahrrad müsste die Person also 159 Mal von Berlin nach Madrid fahren, um wahrscheinlich zu verunglücken. Mit dem Motorrad ist es mit Abstand am gefährlichsten: Hier reichen schon 80 Reisen von Berlin nach Madrid, um wahrscheinlich zu verunglücken.

Die meisten Menschen dürften bei der Wahl ihres Reisemittels nicht zuallererst nach dessen Risiko, sondern eher nach der Reisezeit, der Bequemlichkeit und den Kosten entscheiden. Weswegen die allermeisten in diesem Beispiel sich vermutlich für das Flugzeug entscheiden würden. Aber auch unter dem Aspekt des Risikos würden wir es empfehlen, wie die oben dargelegten einfachen Berechnungen mit Grundschul-Mathematik gezeigt haben. Wieso möchten manche Menschen dennoch nicht fliegen, obwohl es bequemer, schneller und sicherer ist als alle anderen Reisearten, den Umweltaspekt hier einmal beiseite gelassen? Der Grund ist auch in dem eingangs erwähnten Satz „Bauch schlägt Kopf“ zu suchen. Weil sie das Risiko nicht angemessen beurteilen können und sich z.B. nicht die Mühe machen sich mit statistischen Daten zu befassen und daraus logische Schlüsse zu ziehen, hören sie lieber auf ihren Bauch.

Und damit bin ich beim Thema Impfskepsis. Die statistischen Daten zu Corona liegen inzwischen vor. Sie sind populärwissenschaftlich z.B. hier zusammengefasst: https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/wie-viele-menschen-sterben-an-corona/

Die Wahrscheinlichkeit bei einer Infektion mit Covid-19 an schwerwiegenden Komplikationen zu sterben beträgt für eine Person zwischen 40 und 49 Jahren etwa 0,1 Prozent. Das heißt, eine von 1.000 Personen zwischen 40 und 49 Jahren, die sich mit Covid-19 infizieren, stirbt daran. In der Alterskohorte 50 bis 59 sind es schon 5 von 1.000 und bei 60 bis 69jährigen sterben mehr als zwei von 100 Personen, die sich mit Corona angesteckt haben. Das Risiko für einen schwerwiegenden Krankheitsverlauf (mit oder ohne Todesfolge) infolge einer Infektion mit dem Virus beträgt im Gesamtdurchschnitt 10 Prozent. Eine von 10 Personen wird mit erheblichen Nebenwirkungen der Virusbelastung konfrontiert sein! (Quelle: https://www.zusammengegencorona.de/impfen/aufklaerung-zum-impftermin/die-corona-schutzimpfung-nutzen-und-risiken-richtig-abwaegen/)

Im Vergleich dazu ist das sog. „Impfrisiko“ (also mögliche Komplikationen in Folge der Impfung gegen Covid-19 zu erleiden) ungleich geringer: Es beträgt 0,02 Prozent. Zwei von 10.000 Impflingen haben mit Komplikationen zu kämpfen, wie zum Beispiel Hirnvenen-Thrombosen oder Herzmuskelentzündung.

Jetzt komme ich zu dem Fehlschluss, dem einige Menschen leider unterliegen. Vermutlich aus dem Bauch heraus entscheiden sich einige in Anbetracht des Impfrisikos gegen das Impfen. Was viele bei ihrer Risiko-Abwägung jedoch völlig außer Acht lassen, ist die Tatsache, dass das Corona-Virus sie, über kurz oder lang, mit einer Sicherheit von nahezu 100 Prozent angreifen wird. Mit dieser „Sicherheit“ leben alle Menschen, ob geimpft oder ungeimpft. Der Virologe Christian Drosten hat das im Zeit-Interview vom 10.11.2021 noch einmal eindrucksvoll deutlich gemacht. Entscheidend ist, wie gut unser Körper, unser Immunsystem auf diesen Angriff vorbereitet ist. Hierzu leistet die Impfung einen wesentlichen Beitrag.

Wenn sich also jemand gegen die Impfung entscheidet (mögliche gesundheitliche Gründe außen vor gelassen), ist das vergleichbar mit der Entscheidung für das Motorrad als Reisemittel von Berlin nach Madrid. „Bauch schlägt Kopf“ oder „No risk, no fun“ oder „Sterben musst du sowieso, schneller geht’s mit Marlboro“.

Mit der Freiheit des Individuums sich gegen eine Impfung zu entscheiden habe ich überhaupt keine Probleme. Daher lehne ich einen allgemeinen Impfzwang entschieden ab. Probleme habe ich allerdings damit, dass ich über Steuern und Versicherungsbeiträge gezwungen werde, die Krankheitskosten ungeimpfter Personen mitzutragen. Ich finde, alle Menschen müssen durch ein verpflichtendes Gespräch über die oben dargelegte Risikoabwägung aufgeklärt werden. Sollten sie sich gegen eine Impfung entscheiden, ist das zu respektieren. Allerdings müssen sie dafür unterschreiben, dass sie im Falle einer Erkrankung mit Covid-19 und schwerwiegenden Komplikationen für ihre (teils erheblichen) Behandlungskosten selbst aufkommen.

Eisberg voraus

Es ist vorbei. Aus und vorbei. Der Dampfer hält auf den Eisberg zu. Wir können seine Fahrt weder aufhalten noch das Ruder rechtzeitig herumreißen. Wir Menschen werden den Klimawandel, das Artensterben, den großen Raubbau an der Natur nicht mehr stoppen. Im Gegenteil, mit unserem Desinteresse für die großen Zusammenhänge, mit unserer im Erbgut angelegten Gewaltbereitschaft1 den eigenen Leuten gegenüber, mit unserer von Selbstüberschätzung gespeisten Ichbezogenheit werden wir alles nur schlimmer machen.

Egal wie man es dreht und wendet, wir befinden uns mitten im Anthropozän, das der Erde unwiederbringlich seinen Stempel aufdrückt. Die Evidenz der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den gegenwärtigen Veränderungen ist erdrückend. Sie lässt sich von niemand ignorieren, der die Früchte der Wissenschaft klugerweise nicht mit der Weisheit letztem Schluss verwechselt, aber sein Denken und Handeln im Allgemeinen danach ausrichtet, was Menschen zu erkennen in der Lage sind. Das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, ist möglicherweise in greifbare Nähe gerückt.

Warum bin ich so pessimistisch? Nun, wenn ich mir die Menschen betrachte, dann sehe ich verschiedene Verhaltensweisen.

Da gibt es die pragmatischen Idealisten, die aus den Fakten die logischen Schlüsse ziehen und auch konsequent sind. Sie stellen ihr eigenes Leben um: Dazu gehören Verzicht, Sparsamkeit und ein effizienter Umgang mit den Ressourcen. Solche Menschen reduzieren ihren Fleischkonsum, leben vegetarisch oder vegan, meiden unnötigen Luxus jeglicher Art, kaufen in Bio-, Unverpackt- und Second-Hand-Läden ein, steigen um auf Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel, lassen ihr Haus energetisch sanieren oder bauen ökologisch neu. Mit solchen Maßnahmen gelingt es in der Regel den ökologischen Fußabdruck um mehr als die Hälfte zu reduzieren gegenüber einer durchschnittlichen Lebensweise. Was in unseren Breiten noch immer zuviel ist. Eine Reduzierung auf 5 bis 6 Tonnen CO2 pro Jahr kann man als Individuum erreichen, ohne dass es allzusehr weh tut. 12 Tonnen CO2 setzt der Durchschnittsdeutsche frei. 2 Tonnen jährlich dürften es eigentlich nur sein. (Hier kann man seine eigene CO2-Bilanz berechnen.)

Dann sind da die Besorgten. Diese sehen zwar die Not, aber die Verantwortung nicht zuerst bei sich: „Die Politik soll es richten. Die großen Umweltsünder in Wirtschaft und Landwirtschaft müssen zuerst gebändigt werden. Und es muss verbindliche Spielregeln für alle geben.“ Deshalb leben sie ihren Lebensstil, der die Ressourcen von zwei bis drei Erden pro Jahr verbraucht2 weitgehend weiter, wählen aber tendenziell grün. Sie sind der Meinung, das eigene Verhalten erst ändern zu müssen, wenn die Rahmenbedingungen für alle angepasst und so auch andere gezwungen werden, mitzumachen.

Den Hedonisten wiederum ist ihre Umwelt ziemlich egal, Hauptsache, sie haben ihren Spaß. Sie nehmen die Signale zwar wahr, beachten sie aber nicht weiter bzw. ziehen sie ins Lächerliche, um sich damit nicht ernsthaft befassen zu müssen. Und außerdem glauben sie, so schlimm wird es schon nicht werden, schließlich ist die Menschheit bisher mit allen Veränderungen gut klar gekommen.

Viele Vertreter unserer Elterngeneration fahren PS-starke Diesel-Autos, gerne auch „gepanzert“ (SUVs) Für sie sind E-Autos moderne Ausgeburten des Schwachsinns. Ihr in den 1970er oder 1980er Jahren erbautes Einfamilienhaus wird selbstverständlich nicht gedämmt („da hole ich mir nur den Schimmel ins Haus“) und die tägliche Fleischportion auf dem Teller ist vom Discounter („Bio in allen Ehren, aber die Preise sind ja unverschämt“).

Für Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger ist die Reduktion ihres CO2-Fußabdrucks ohnehin finanziell nicht leistbar. Vertreter linker Parteien verweisen regelmäßig auf die Ungerechtigkeiten, die ökologische Gesetze für sozial Benachteiligte mit sich bringen.

Dann gibt es eine nicht zu unterschätzende Gruppe politisch liberaler Menschen. Diese haben im günstigen Fall aufgrund ihres Bildungsniveaus noch das Einsehen, dass Veränderungen notwendig sind, lehnen es jedoch kategorisch ab, andere Menschen dazu zu zwingen. Schon gar nicht die Wirtschaft, die ja in einer globalisierten Welt mit solchen Auflagen nicht konkurrenzfähig wäre.

Das wiederum hält die „Generation Greta“ für legitim, die lautstark für deutlich strengere Gesetze eintritt. „Folgt endlich der Wissenschaft“ lautet ihre Devise. Und: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut.“ Dass sie ihr eigenes Handeln nicht immer in Einklang bringen mit ihren Forderungen irritiert sie nicht.

Viele Menschen sind von einem Fortschrittsglauben beseelt, der sie hoffen lässt, die Katastrophe lasse sich mit menschlichem Erfindungsgeist abwenden oder zumindest deutlich abmildern. „Die Menschen haben für alles bisher eine Lösung gefunden“ lautet ihr unerschütterliches Mantra, das keinen Widerspruch duldet. Schließlich hat es die Menschheit in ihren Augen bis hier und heute weit gebracht. Sie hegen kaum Zweifel, dass der Menschheit eine große Zukunft bevorsteht.

In eine ähnliche Kategorie fallen die Menschen mit religiösem oder spirituellem Bezug. Esoteriker zähle ich auch dazu. So verschieden sie im Detail aufgestellt sein mögen: Ihnen ist gemein, dass sie die eigene Verantwortung gerne an höhere Mächte abgeben. Sie glauben fest daran, dass sich immer alles zum Guten wendet. Sie beten oder meditieren täglich und warten so auf ein Wunder. Und wenn das am Ende alles nicht weiterhilft, bleibt ihnen ja noch das Paradies im Jenseits oder die Hoffnung auf eine neue Chance durch Wiedergeburt.

Nicht zuletzt seien die Menschen genannt, die den menschengemachten Klimawandel noch immer nicht wahrhaben wollen. Nicht nur diese verschließen Augen und Ohren auch gerne bei den Themen Artensterben, Flächenfraß, Vermüllung der Erde durch Plastik und Abholzung der Regenwälder.

Diese Aufzählung stellt naturgemäß nur eine relativ willkürliche und unvollständige Momentaufnahme unserer eigenen Gesellschaft dar. Dazwischen gibt es so viele Abstufungen, Mischformen und Variationen wie es Menschen gibt. Dennoch möchte ich nach einigen Rückmeldungen mir wohlgesonnener Personen gerne noch einen Phänotypen betrachten:

Da wäre der Vielbeschäftigte zu nennen. Dem zwischen Beruf und Familienleben einerseits sowie zwischen gesellschaftlichem Engagement und „Freizeitstress“ eingespannten, modernen Menschen westlicher Prägung fehlt schlicht die Zeit, sich mit den komplexen Zusammenhängen des Klimawandels tiefergehend zu befassen. Zumindest nicht tiefgehend genug für die Erkenntnis betreffend der Auswirkungen seines eigenen Verhaltens auf das Erdklima. Das Bewusstsein des > pragmatischen Idealisten, nämlich dass das Verhalten jedes Einzelnen einen nicht unbedeutenden Beitrag im Rahmen der großen Zusammenhänge zu leisten vermag, fehlt ihm. Doch selbst wenn dies in glücklicheren Fällen als gegeben vorausgesetzt werden darf, neigt der Vielbeschäftigte dazu, sich ihr zum Trotz bestimmte Privilegien herauszunehmen, von denen er glaubt, sie sich durch harte Arbeit irgendwie verdient zu haben. Womit er seinen vermeintlich kleinen Beitrag zur Erderwärmung letztlich moralisch rechtfertigt. „Und außerdem, sollen doch die anderen erstmal machen.“ Fatal ist das deswegen, weil die Summe dieses Verhaltens vieler Menschen, gerade der Mitglieder technologisch fortgeschrittener Gesellschaften, doch genau die Auswirkungen zeitigt, die hier betrachtet werden.

Die Auslastung des Individuums durch Vielbeschäftigung impliziert weiterhin eine gewisse Tendenz zur Trägheit und/oder Unfähigkeit, das eigene Handeln angemessen und nachhaltig an vorhandene Erkenntnisse anzupassen. Verhaltensänderungen müssen bewusst eingeübt und in den Lebensalltag integriert, sowie von Zeit zu Zeit kritisch reflektiert, ggf. wiederholt nachjustiert werden. Das alles ist mit Arbeit verbunden und kostet Kraft und Zeit, die dem Vielbeschäftigten verständlicherweise knappe Güter sind. Und nicht zuletzt ist das sich-Einschränken, das kritische Hinterfragen eigener Konsumentscheidungen (das heißt im Alltag bspw. auf die eine oder andere Autofahrt zu verzichten und stattdessen das Fahrrad zu nehmen), auch irgendwie „uncool“. Siehe den > Hedonisten.

Darüber hinaus sind wir eingebettet in eine globalisierte Welt. Der Blick über den Tellerrand offenbart hier leider keinen Silberstreif am Horizont. Im Gegenteil, das heterogene Bild der eigenen Gesellschaft lässt sich im Prinzip übertragen auf die Vielfalt der Völker. So erkennt man, dass jedes Land und jede Gesellschaft eigene Strategien in Wahrnehmung und Umgang mit der Krise fährt. Von einer dringend notwendigen Einigkeit in der Erkenntnis, geschweige denn im Handeln sind wir, die große Menschheitsfamilie, leider Lichtjahre entfernt.

20 bis 30 Jahre bleiben uns noch, um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen um Größenordnungen zu verhindern, mit denen selbst eine so anpassungsfähige Spezies wie der Homo sapiens nur noch sehr schwer fertig wird. Im weiteren Verlauf werden unumkehrbare Kipppunkte3 im Ökosystem der Erde eintreten. Das Eis wird dann überall noch schneller schmelzen und die Meerespiegel rasant ansteigen lassen. Die Permafrostböden werden vollends auftauen und das darin gebundene Treibhausgas Methan in die Atmosphäre abgeben. Wie ein Turbo werden diese und einige Effekte mehr die Klimaveränderungen noch beschleunigen. Das sind die übereinstimmenden Erkenntnisse der Wissenschaftler.

Infografik: Welt verfehlt Klimaziel von Paris | Statista
Infografik: Der Meeresspiegel steigt kontinuierlich | Statista


Die Titanic wird also sinken. Ganz langsam zwar und für unser Zeitempfinden kaum wahrnehmbar. Aber doch so schnell, dass unsere Anpassungsfähigkeit womöglich nicht ausreichen wird, um geeignete Lösungen für unser aller Überleben schnell genug zu entwickeln.

Werfen wir einen Blick auf die großen Hoffnungen des Menschen:

Lösungen kann nur der Staat organisieren
Bei uns sind jegliche politische Entscheidungen abhängig von Mehrheitsverhältnissen. Das nennt sich Demokratie. Wir leben in einem Rechtsstaat, dessen Fundament die Menschenrechte bilden. Wie soll es je gelingen, alle die oben genannten, sich teilweise stark widersprechenden Haltungen innerhalb einer Gesellschaft unter einen Hut zu bringen? Selbst wenn dieses Wunder bei uns gelänge, wäre mit einem einzelnen Staat doch gar nichts gewonnen. Es müssten ja alle Staaten der Erde am selben Strang ziehen. Oder wenigstens die meisten. Wir sind weit davon entfernt. Viel zu weit. Alle großen Klimakonferenzen, selbst das Pariser Klimaschutzabkommen waren bisher nicht mehr als fromme Lippenbekenntnisse, denen kaum Handeln folgte.

Der intelligente Mensch und seine technischen Lösungen
Das Drama nahm eigentlich seinen Lauf mit der Sesshaftwerdung des Menschen. Ackerbau und Viehzucht sicherten nicht nur die Existenz, sondern verschafften die Freiheit, sich fortan auch anderen Dingen zu widmen als dem nackten Überleben. Die Werkzeuge und Waffen wurden mit der Zeit immer raffinierter und die Arbeitsteilung zwischen den Menschen immer differenzierter. Gleichzeitig wurde die Menschheit größer und größer – dank gesicherter Ernährung und fortschrittlicher Hygiene und Medizin. Die heutige Zivilisation ist hochgradig komplex. Die Entfremdung aber des Menschen von seiner ursprünglichen Natur wächst mit jeder neuen Erfindung. Heute ist es bereits denkbar, dass ein Mensch fast sein ganzes Leben in virtuellen Welten verbringt und er diese nur noch zur Befriedigung basaler Grundbedürfnisse kurzzeitig verlässt. Die Natur dagegen ist für den Menschen nur noch eine Ressource, die er nach Belieben ausbeutet. Dass er Teil eines großen Systems ist, gerät mehr und mehr in Vergessenheit. Wie soll es also technisch weitergehen? Wird es innerhalb der nächsten Jahre bahnbrechende Erfindungen geben, die ein Fortbestehen der Umwelt sichern, von der unser Überleben so sehr abhängt? Ich glaube nicht daran. Im Gegenteil. Auf die Technik zu setzen, das ist für mich wie den Teufel mit dem Beelzebub austreiben wollen. Kleines Beispiel: Kernkraft. In Jahrzehnten ist es nicht gelungen, trotz Milliarden-Investititionen und durch Einsatz tausender, hochintelligenter Ingenieure, die Kernkraft so zu bändigen, dass sie kein Betriebsrisiko mehr darstellt und auch kein Müllproblem mit sich bringt. Ein Atom ist unvorstellbar klein. Wie soll es da in den wenigen uns verbleibenden Jahren gelingen, Erfindungen auf den Weg zu bringen, die Probleme gigantischen Ausmaßes lösen? Wem dieser Vergleich zu polemisch ist: Wer eine Straße baut, erntet Verkehr. Wer zur Entlastung mehr und größere Straßen baut, erntet noch mehr Verkehr. Die Technik des Menschen drängte bisher fast immer die Natur zurück. Um es mit Albert Einstein zu sagen: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ und: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“

Beten bzw. Meditieren
Allen religiösen und spirituellen Eiferern seien die Fragen gestellt: „Wer ist es, wenn nicht ihr selbst, durch die ein wie auch immer geartetes, liebendes Universum handelt? Glaubt ihr allen Ernstes, durch Beten und/oder Meditieren allein würde sich irgendetwas ändern in dieser Welt?“ Es mag sein, dass der Mensch durch spirituelle Übungen zur Besinnung kommen kann. Daraus muss aber eigenes Handeln folgen, sonst ist alles Üben umsonst.

Was folgt aus all dem für mich persönlich?

Ich könnte laut losheulen, wenn es denn etwas bringen würde. Ich gehe jedoch unbeirrt meinen Weg des pragmatischen Idealisten (siehe oben). Ich glaube noch immer an den Satz: „Viele kleine Menschen in kleinen Orten, die kleine Dinge tun, können die Welt verändern.“ Und: „Du musst die Veränderung sein, die du in der Welt sehen willst.“ (Mahatma Gandhi)

Was meine Mitmenschen betrifft, so kann ich heute ganz entspannt sein. Ich weiß inzwischen, dass jeder und jede in seiner/ihrer eigenen Haut steckt, aus der man nicht einfach so heraus kann. Es gibt keinen Grund irgendjemand einen Vorwurf zu machen für sein vergangenes und gegenwärtiges Handeln oder Nichthandeln. Moralisieren und Verurteilen hilft uns nicht weiter4. Im Gegenteil vertieft es die Gräben zwischen den Menschen. Trotzdem werden sie wahrscheinlich keine Lösung für ihre Probleme finden. Weil sie sich untereinander nicht einig sind, vor allem nicht in solch großen, existenziellen Fragen. Das ist bereits in ihren Genen so angelegt.

Ist das alles ein Grund zu verzweifeln?

Davon bin ich weit entfernt. Mein Pessimismus bezieht sich auf die Zukunft der Menschheit. Auch wenn die unausweichliche Katastrophe langsam in greifbare Nähe rückt, geschehen die Veränderungen schleichend. Es ist ein Tod auf Raten und unsere Generation hat das Privileg dabei zuschauen zu dürfen. Das ist nicht zynisch gemeint, sondern Ausdruck meiner Demut gegenüber dem Wunder der Schöpfung. Das große Werden und Vergehen hat schließlich bereits Millionen Arten vor uns (und in letzter Zeit verstärkt durch uns) das Leben gekostet.

Homo sapiens ist ein faszinierendes wie mutiges Projekt der Natur, von dem man heute bereits sagen kann, dass es wohl scheitern wird. Aber das ist okay so. Denn davon geht die Welt nicht unter.


Fußnoten
1 Vgl. Wikipedia: Schimpansenkrieg von Gombe und Buchrezension „Darwinisch denken“
2 Vgl. Wikipedia: Earth Overshoot Day
3 Vgl. Wikipedia: Kippelemente im Erdklimasystem
4 Vgl. Beitrag auf deutschlandfunkkultur.de: „Mit Humanismus gegen moralischen Starrsinn“

[Abgesagt] 50 Täler, 50 Gipfel

Edit vom 13.3.2021: Die geplante Alpenüberquerung verschiebe ich aus diversen Gründen um ein paar Jahre.

Eine Pilgerreise als Parabel für das Leben selbst. Das gefällt mir sehr gut. So kam ich neulich darauf, warum nicht mein 50. Geburtstag im kommenden Jahr der Anlass für eine Alpenüberquerung zu Fuß sein könnte. Noch erlaubt mir das meine Gesundheit. Und die Berge sind ja seit jeher mein Sehnsuchtsort. In den letzten Jahren habe ich Hüttentouren, also das Gehen von Berghütte zu Berghütte, für mich entdeckt.

So fand ich nach kurzer Recherche das Buch von Christof Herrmann: „Alpenüberquerung Salzburg–Triest“. Christof ist Oberfranke, Veganer, lebt einen minimalistischen Lebensstil und schreibt Bücher über seine Touren. Er betreibt auch einen Blog: einfachbewusst.de/ Die Route quer durch die Ostalpen hat er nach eigenen Angaben selber ausgearbeitet und das glaube ich ihm. Sein Wanderführer, der inzwischen in der dritten Auflage erschienen ist, macht jedenfalls einen detaillierten und sehr zuverlässigen Eindruck. So bin ich, nach Rücksprache mit meiner Familie, fest entschlossen im Jahr 2021, aus Anlass meines 50. Geburtstags, die Alpenüberquerung zu wagen.

Und zwar werde ich die Tour in einem Stück gehen, aber leicht verkürzt. Denn die eigentliche Alpenüberquerung fängt erst in Berchtesgaden an und hört bereits in Tolmin auf. Christof hängt seiner Tour noch 5 Tage an, um bis ans Meer zu gelangen. Das wiederum reizt mich nicht wirklich, und ich möchte meine Familie auch nicht zu lange alleine lassen. Außerdem erwäge ich, die Alpen in umgekehrter Richtung, also von Süd nach Nord zu überqueren. Insgesamt werde ich damit 21 oder 22 Tage unterwegs sein und dabei mindestens 50 Täler und 50 Gipfel passieren.

Jedenfalls dachte ich, es wäre eine schöne Idee und es würde doch wunderbar zu mir passen, wenn die Menschen, die mir etwas bedeutet haben und immer noch etwas bedeuten, mich dabei begleiten. Das wäre gleichsam das größte Geschenk, das sie mir damit machen könnten. Es ist ja bekannt, dass ich überhaupt kein Freund von Geburtstagsfeierei und Geburtstagsschenkerei bin, wenigstens wenn es sich um meinen eigenen handelt. So lade ich euch ein, Teile des Weges mit mir zu gehen. Dieser führt durch insgesamt vier landschaftlich herrliche Gebirgszüge: die julischen Alpen in Slowenien, die karnischen Alpen zwischen Italien und Österreich, die Hohen Tauern in Österreich und die Berchtesgadener Alpen.

Die einzelnen Wegabschnitte sind jeweils so gewählt, dass sie in 5 bis 8 Stunden Gehzeit zu bewältigen sind. Wie im richtigen Leben geht es dabei bergauf und bergab, es gibt leichtere, aber auch sehr fordernde Etappen. Die Übernachtung ist meistens in Berghütten, wo es in der Regel eng und recht spartanisch (aber immer gemütlich) zugeht, manchmal auch in Gasthäusern im Tal. In den Tälern zwischen den Gebirgsgruppen gibt es Bus- und Bahnanschluss und damit mehrere günstige Ein- und Ausstiegspunkte.

Natürlich ist mir klar, dass das nichts für jeden ist. Deswegen habe ich vor, in meinem Blog von meiner Pilgerreise live zu berichten. Es wird Bilder und Texte geben. Und ich werde die Kommentarfunktion öffnen. So können wir die Verbindung auch aus der Ferne halten. Nähere Details werde ich zu gegebener Zeit bekannt geben.

Was hältst du von meiner Idee? Und vor allem: Bist du dabei? Schreib mir gerne an: christian@kreatil.de

Genießertour auf dem Berliner Höhenweg im Zillertal/Tirol

Die Zillertaler Alpen sind eine ganz besonders schöne Gegend, das muss ich gleich einmal vorweg schicken. Unsere Genießertour im August 2019 war mein erster Besuch in diesem herrlichen Fleckchen Tirols und es wird sicher nicht mein letzter gewesen sein.

Es beginnt schon mit der Anreise bis Mayrhofen, die sich von Deutschland aus ganz bequem und völlig problemlos mit dem Zug bewältigen lässt. In knapp 5 Stunden ist man von Würzburg bis Mayrhofen gefahren und taucht sogleich ein in eine völlig andere Welt. In Mayrhofen geht es sehr touristisch zu, ein klassischer Wintersport-Ort, der aber auch im Sommer sehr gut besucht ist. Ein Hotel reiht sich an das nächste und das fast unüberschaubare Angebot an Cafés, Restaurants, Sportgeschäften und Souvenirläden zeugt von der Kaufkraft der Gäste.

Nach letzten Besorgungen setzen wir, Mark, Florian und ich, unsere Anreise per Bus fort bis in den Nachbarort Finkenberg, wo wir auf der schönen Terrasse des Hotels Persal ein kleines Mittagsmahl einnehmen und diverse Biere verkosten. Die Speisekarte weist deren über 80 Sorten aus, die meisten davon Craft-Biere aus der Region, aber unter anderem auch aus Deutschland, Tschechien, Belgien, den Niederlanden und sogar aus Übersee.

Gestärkt können wir nun den 3-stündigen Aufstieg zu unserer ersten Übernachtungsstation, der Gamshütte, angehen. Der Wanderpfad schlängelt sich auf unzähligen Serpentinen über 1.000 Höhenmeter durch den malerischen Bergwald. Zeit sich auszutauschen, Zeit für angeregte Gespräche über Politik und Gesellschaft, aber auch Zeit durchzuatmen und den Kopf frei zu kriegen.

Die Gamshütte ist eine sehr kleine, aber dafür umso urigere Hütte. Die Duschen befinden sich im Freien, der Waschraum unter der Hütte, und das Wasser ist eiskalt. Wir brauchen noch einen Moment, um vom Komfort der modernen Zivilisation auf einfachere Verhältnisse zurückzuschalten. Die Wirtsleute erleben wir als sehr freundlich, es geht dort gemütlich und familiär zu.

Anderntags machen wir uns um 8 Uhr bereit zur ersten und, mit 9 Stunden Gehzeit, gleichzeitig längsten Etappe unserer Tour.

Knapp oberhalb der Gamshütte ein Blick zurück nach Mayrhofen

Der Weg von der Gamshütte zum Friesenberghaus hat es gleich in mehrfacher Hinsicht in sich. Zum einen ist es einfach eine sehr lange Etappe, die Kondition und Durchhaltevermögen einiges abverlangen. Zum anderen verläuft der „schwarze“, also mit der höchsten Schwierigkeitsstufe deklarierte Wanderweg durchgehend auf über 2.000 Höhenmeter, damit oberhalb der Baumgrenze, und in Kombination mit seiner Ausrichtung zur Sonne hin wird einem an richtigen Sommertagen ganz schön eingeheizt. Wobei wir Glück haben mit dem Wetter, denn es ist heute wechselnd bewölkt mit vielen sonnigen Abschnitten, und dabei nicht zu warm. Landschaftlich bietet sich uns ein herrliches Bild, mit reizvollen Ausblicken über die Zillertaler Alpen bis nach Südtirol und immer wieder Einblicken in die Hochtäler zwischen den langgestreckten Bergketten.

Auf dem Weg zum Friesenberghaus, Blickrichtung Südwesten
Felsblöcke pflastern auf dieser Etappe über weite Strecken unseren Weg

Am späten Nachmittag haben wir unseren mentalen Tiefpunkt erreicht, nachdem hinter dem x-ten Bergrücken mit immer wieder anstrengenden Auf- und Abstiegen noch immer nicht die ersehnte Hütte in Sicht kommt. Dazu gesellt sich ein Wetterwechsel, der uns zum einen die Sicht raubt und zum anderen mit Graupelschauern „erfreuen“ möchte. Doch endlich ist das Friesenberghaus erreicht, wo uns bereits Hans, unser vierter Mann, erwartet, der an dem Tag von der Dominikushütte aufgestiegen ist. Wir kommen gerade rechtzeitig zum Abendessen und die Strapazen sind rasch vergessen. Die Gaststube der Hütte ist rappelvoll und auch die Schlafplätze sind an diesem Tag ausgebucht. Dank unserer Vorreservierung schlafen wir in Zweibett-Zimmern, ein eher seltener Luxus in den Bergen. Das Friesenberghaus wird bewirtschaftet von jungen Wirtsleuten mit Kindern. Man merkt der ganzen Mannschaft an, dass ein guter Geist auf der Hütte herrscht. Trotz der vielen Gäste wirken die Leute sehr entspannt und sind immer freundlich.

Abstieg vom Friesenberghaus

Der nächste Morgen präsentiert sich anfangs wolkenverhangen. Jedoch klärt sich der Himmel im Laufe des Vormittags zusehends auf und das Wetter bleibt stabil. Der Übergang zur Olperer Hütte gestaltet sich, vor allem aufgrund seiner Kürze, als nicht zu anspruchsvoll, und bietet uns immer wieder reizvolle Ausblicke hinunter zum Schlegeisspeicher, dem Oberbecken eines Pumpspeicherkraftwerks. Als wir am Nachmittag kurz vor der Hütte eine Hängebrücke passieren, sind wir erstaunt über die vielen Leute, die an der Brücke anstehen. Zunächst wundern wir uns, warum immer nur ein Mensch hinübergeht, bis wir erkennen, dass diese jeweils für ein Foto posieren. Kopfschüttelnd gehen wir bis hinunter zur Olperer Hütte. Dort klärt sich das Rätsel für uns auf. Wir sind an einem touristischen Hotspot angekommen. Die Massen an Tagestouristen kommen großteils vom Speichersee hochgewandert. Und die Hängebrücke ist wohl eines der beliebtesten Fotomotive im Zillertal.

Olperer Hütte mit Blick auf den Schlegeisspeicher
DER Instagram-Hotspot im Zillertal

Die Olperer Hütte ist eine sehr moderne Hütte, mit seinen großen Panorama-Fenstern in der Gaststube. Sie wurde im Jahr 2008 neu errichtet. Am Haus selbst gibt es für uns nichts zu meckern, jedoch finden wir sie schon arg überlaufen.

Die dritte Etappe führt uns zunächst hinab zum Schlegeisspeicher. Obwohl wir relativ früh dran sind, begegnen wir unterwegs den Karawanen an Menschen, die vom Parkplatz hinauf zur Hütte ziehen. Uns wird bewusst, dass die Wirtsleute täglich eine logistische Meisterleistung vollbringen. Und das ohne Straßenanbindung und ohne Lastenaufzug. Die Hütte wird komplett mit dem Hubschrauber versorgt. Wie lange wohl noch, in Zeiten des menschengemachten Klimawandels?

Unten angekommen, legen wir an der Dominikushütte eine Mittagsrast ein. Auf der Terrasse werden wir super nett bedient. Ich glaube, wenn mich jemand nach der Definition von „Gastfreundlichkeit“ fragte, dann würde ich die Hüttenwirtin als Beispiel nennen.

Auf der Staumauer des Schlegeisspeichers. Knapp oberhalb ist die Dominikus-Hütte gelegen.

Schweren Herzens brechen wir wieder auf, unserem eigentlichen Ziel entgegen, dem Furtschaglhaus. Nach der Umrundung des Speichersees geht es in einem kurzen, aber knackigen Aufstieg bergan, und schon sind wir oben. Auch hier treffen wir auf ein volles Haus, aber wen wundert’s? Es ist Wochenende und für den Sonntag ist herrliches Wetter gemeldet. Die Hütte selbst ist vorbildlich organisiert, für meinen Geschmack fast überorganisiert. Aber alles läuft wie am Schnürchen. Die Wirtsleute sind bestimmt, aber freundlich. Wie bereits auf der Olperer Hütte verbringen wir einen vergnüglichen Hüttenabend bei „Mäxchen“, Bier und Kaiserschmarrn. Lediglich das Frühstück am anderen Morgen gestaltet sich als etwas stressig: Das Gedränge und die Luft in der zu engen Gaststube lassen uns nach draußen ausweichen.

Letztes Gruppenfoto vor dem Abschied
Auf zum Schönbichler Horn

Nun heißt es für uns Abschied nehmen: Hans und Florian steigen ab ins Tal. Danke für drei bzw. vier wunderbare Tage mit euch! Mark und ich machen uns bei herrlichem Kaiserwetter auf zur Berliner Hütte. Der 850 Hm – Aufstieg zum Schönbichler Horn liegt zu dieser Tageszeit noch größtenteils im Schatten, was ein großer Vorteil ist: So kommen wir nicht so schnell ins Schwitzen. In knapp 3 Stunden sind wir oben. Die letzten 100 Höhenmeter gestalten sich als durchaus anspruchsvolle Kletterei, teilweise mit ausgesetzten Stellen. Vom Gipfel haben wir dank des Wetters einen wunderbaren Fernblick, besser kann es nicht sein.

Klettersteig zum Schönbichler Horn (Westseite)
Auf dem Schönbichler Horn haben wir eine super Fernsicht
Gipfelkreuz des Schönbichler Horns
Klettersteig zum Schönbichler Horn (Ostseite)

Dann kommt der Abstieg auf die andere Seite, der es wirklich, wirklich in sich hat. Insgesamt müssen wir an dem Tag rund 1200 Höhenmeter abbauen! Davon die ersten 150 Höhenmeter wieder als Klettersteig mit Schwierigkeitsgrad I. Auch die restlichen rund 1.000 Höhenmeter sind nicht von Pappe. Es geht über einen durchweg holprigen und stolprigen, mit Geröll und Felsbrocken durchsetzten Pfad, der unseren Gelenken bis zum bitteren Ende das Äußerste abverlangt. Vor allem die Sprunggelenke spüre ich abends dann deutlich. Aber auch die Knie machen sich schmerzhaft bemerkbar.

Brücke über die Schmelzwasser der Gletscher

Belohnt für die langen Strapazen werden wir mit einem Aufenthalt in der altehrwürdigen Berliner Hütte, der für uns tatsächlich einer Zeitreise in die Kaiserzeit gleicht. In den großen, kunstvoll holzvertäfelten Speisesaal hätte die Gamshütte locker hinein gepasst (ohne Übertreibung!). Daneben gibt es noch weitere Säle und Räume, wo Menschen sitzen, essen, trinken und spielen. Erwähnenswert auch die Eingangshalle mit Empfangs-Schalter. Wirklich die komplette Ausstattung stammt noch aus kaiserlichen Zeiten, bis hin zu den Toiletten hinter dem Speisesaal. Wir haben ein Zweibett-Zimmer mit Einzelbetten (und richtigem Bettzeug) für uns alleine. Der Kaiserschmarrn, den wir am späten Nachmittag einnehmen, erweist sich als eine solch riesige Portion, dass wir abends kaum mehr Appetit haben auf das Abendessen. Bei dieser Gelegenheit lernen wir auch das Pärchen Sabrina (aus Kalifornien) und Kati (aus Wien) kennen, die sich an unseren Tisch gesellen. An dem Abend bringen wir der jungen Kalifornierin das Mäxchen-Spielen bei.

Empfangshalle der Berliner Hütte
Großer Speisesaal der Berliner Hütte
Berliner Hütte von außen

Anderntags dann der Übergang zur Greizer Hütte über Schwarzsee und Mörchenscharte. Hat sich das Wetter am Morgen bereits deutlich eingetrübt, bleiben wir beim Aufstieg noch trocken. Ganz anders dann die Situation auf der Mörchenscharte. Dichter Nebel verhüllt uns jegliche Sicht. Ein eiskalter Wind zwingt uns, warme Kleidung anzuziehen. Und es setzt Regen ein. Die ersten 100 Höhenmeter bergab sind wieder als Klettersteig zu bewältigen, auch hier teilweise mit Schwierigkeitsstufe I. Bei Nässe gestaltet sich das nochmal schwieriger, aber wir meistern es ganz gut. Direkt im Anschluss geht es über enge Serpentinen steil über ein Schutt- und Geröllfeld, das unseren Gelenken wiederum alles abverlangt. Über einen Grasrücken geht es weiter bergab, und dann in eine enge Schlucht hinein. Im Finale des 900 Hm-Abstiegs dann ein zweiter, kurzer Klettersteig, der als Schlusspointe mit einer senkrecht an einer Felswand angebrachten Aluleiter aufwartet. Danach geht es auf wackeligen Brücken über reißende Wildbäche, bevor wir endlich den Aufstieg zur Greizer Hütte in Angriff nehmen können. Der Regen bleibt uns ein treuer Begleiter bis zu unserer Ankunft. Dafür werden wir am späten Nachmittag noch mit etwas Sonne belohnt, so dass wir auch unsere Schuhe und Kleidung etwas trocknen können. Die Greizer Hütte erlebe ich als sehr positiv: freundliche Wirtsleute, gutes Essen und ruhige Zimmer. Bemerkenswert auch der Ziegenbock mit den dicken Klöten, der mehr als einmal durch die Gaststube gelaufen kommt. Auch der Spieleabend, wieder mit Sabrina und Kati, sowie – neu – Paul aus den Niederlanden, gestaltet sich als sehr gemütlich, lustig und unterhaltsam. An dem Abend erfahren wir, dass die beiden Mädels gerade eine längere Auszeit nehmen und einen Reiseblog betreiben. Wenn ihr mögt, schaut mal rein: moonhoneytravel.com

Schwarzsee
Auf dem Weg zur Mörchenscharte
Blick von der Greizer Hütte

Ausgeruht und gestärkt können wir anderntags den Übergang zur Kasseler Hütte in Angriff nehmen. Die Lapenscharte ist zwar recht unspektakulär, aber auch ab hier setzen recht bald Regenschauer ein, die uns an diesem Tag immer wieder begleiten sollen. Nach dem Abstieg von der Lapenscharte ist die Kasseler Hütte auf der gegenüberliegenden Seite des Talkessels sichtbar, den wir nun hufeisenförmig zu umrunden haben. Obwohl der weitere Weg keine größeren Auf- und Abstiege mehr bereit hält, bietet er doch die eine oder andere Überraschung. Zum Beispiel in Form von sehr schwierig zu überkletternden Felsschrägen, oder auf wackeligen Steinen zu überquerenden, reißenden Wildbächen, und auch einigen seilversicherten Kletterpassagen. Gegen Nachmittag lassen die Schauer endlich nach, so dass die eine oder andere Pause für uns drin ist.

Lapenscharte
Der wolkenverhangene Talkessel zwischen Lapenscharte (links) und Kasseler Hütte (rechts)
Das letzte Stück zur Kasseler Hütte

Auf der Kasseler Hütte sollen wir unseren letzten Abend auf über 2.000 Metern verbringen, aber das wissen wir zu dem Zeitpunkt noch nicht. Um ausreichend ausgeruht zu sein für die letzte große Etappe, die 9 bis 10 Stunden über den Sieben-Scharten-Steig zur Edelhütte, legen wir uns früh ab. In der Nacht setzt heftiger Regen ein, der bis in den Morgen anhält. Um 8 Uhr dann die Ansage vom Hüttenwirt, der Steig sei heute nicht oder nur unter erheblichem Zeitaufwand zu gehen. So entscheiden wir um 9 Uhr, eine Regenpause abzuwarten und dann ins Tal abzusteigen. Mit uns warten noch weitere Leute, so dass sich schnell eine gemütliche Vormittags-Spielerunde zusammenfindet. Bei Kaiserschmarrn und Bier lassen wir es uns gut gehen. Außerdem ist da noch ein älterer Herr aus Hessen, der sich tags zuvor den Fuß verknackst hatte und nicht mehr weiter laufen kann. Zuerst heißt es, er werde mit dem Helikopter abgeholt. Da jedoch das Wetter nicht besser wird, wollen ihn die Bergretter mit einer rollbaren Trage zu Tal bringen. Als wir uns um 12.30 ins Tal verabschieden, wartet der Arme immer noch auf Rettung. Das Wetter ist uns nun glücklicherweise hold, so dass wir trockenen Fußes das Tal erreichen. Unten dann die Überraschung: Die Bergrettung hat sich an der Talstation des Lastenaufzugs der Kasseler Hütte postiert. Unsere Nachfrage ergibt tatsächlich, dass der Verletzte mit dem Lastenkorb zu Tal gebracht wird. Und wirklich schwebt dieser kurz darauf hoch über unseren Köpfen zu Tal und winkt uns dabei freundlich zu.

Der Lastenkorb mit dem Verletzten (nicht erkennbar auf dem Foto)

Ab der Grüne-Wand-Hütte können wir dann mit dem Hüttentaxi für 10 Euro pro Person das 12 Kilometer lange Tal bis Mayrhofen überbrücken, so dass wir noch ausreichend Zeit haben, uns eine Bleibe für die Nacht zu suchen. Mit dem Posthotel Mayrhofen sind wir sofort fündig und sogar die Sauna wird eigens für uns angeworfen. Im Restaurant Edelweiß findet unsere Wanderwoche abends bei Burger & Pizza ihren gemütlichen Ausklang.
Die Heimfahrt gestaltet sich völlig unspektakulär. Alle Züge sind pünktlich! Lediglich ein dreistündiger Zwischenaufenthalt in Jenbach erbringt, dass dieser Ort keinen(!) Besuch wert ist.

Fazit

Für mich persönlich war diese Wanderwoche das Highlight des Jahres. Die Stille wirken lassen. Sich der Einsamkeit hingeben. Die Elemente Feuer, Luft, Wasser, Erde hautnah erleben. Den Körper richtig in Schwung bringen. Die eigenen Grenzen erfahren. Den Blick in die Ferne schweifen lassen. Die ungetrübte Freude am Erreichten genießen. Menschen ungefragt mit „Du“ anreden, ohne dass sie es einem krumm nehmen. Gemütliche Hüttenabende verbringen bei gutem Essen und Trinken, Gesprächen und Spielen. Das alles kann man (nur) in den Bergen erleben. Ich bin noch ganz erfüllt von den Erlebnissen und Eindrücken, die ich dort erfahren und sammeln durfte. Solche Aus-Zeiten sind wirklich wichtig, in welcher Form auch immer. Noch wichtiger ist, dass man sie sich nimmt. Gut erholt und mit neuer Kraft kann es nun für mich in den Herbst gehen.

Wo war „Gott“ zur Zeit der Judenvernichtung, sowie im ersten und im zweiten Weltkrieg? Wieso hat er nicht eingegriffen, wo er doch allmächtig ist? Warum lässt „Gott“ das Leid zu?

Ich glaube daran, dass der Mensch grundsätzlich frei ist. Frei, sich für den Weg der Liebe zu entscheiden. Ausdruck dieser Liebe sind z.B. Selbstlosigkeit, Nächstenliebe, Barmherzigkeit. Dort ist „Gott“, wenn es einen Namen dafür braucht. Genauso ist der Mensch aber frei, sich in Hass und Zwietracht zu ergehen, in Neid und Missgunst, in Morden und Kriegen.

Ohne diese Freiheit wären wir keine Menschen, sondern Automaten. Von daher denke ich, „Gott“ ist immer da, auch wenn wir noch so großes Leid anrichten. „Gott“ ist unendlich traurig, wenn es geschieht. Aber „Gott“ greift nicht ein. Weil die Freiheit, die „Gott“ uns schenkt, Ausdruck seiner bedingungslosen Liebe ist.

Man muss das Gute tun, damit es in der Welt sei. (Marie von Ebner-Eschenbach)

Mit dieser Freiheit hat „Gott“ uns eine große Verantwortung übertragen. Ich glaube auch nicht, dass wir „ihm“ unterlassene Hilfeleistung vorwerfen können. Denn „Gott“ handelt in dieser seiner Schöpfung durch seine Geschöpfe, also durch uns. Die Verantwortung liegt also wirklich bei uns. Ich bin mir aber gar nicht sicher, ob das allen Menschen immer wirklich klar ist. Denn ich glaube nicht, dass „Gott“ irgendwo außerhalb von uns zuschaut, sozusagen als von uns getrennter, unbeteiligter Beobachter. Ich glaube im Gegenteil, dass er genau in uns ist. An uns liegt es, sein Wirken zuzulassen, und zwar durch uns. Darin liegt vermutlich seine tiefste Sehnsucht.

Die Illusion der „göttlichen“ Ordnung

Der Mensch tendiert nach meiner Beobachtung dazu, die menschengemachte Ordnung mit der „göttlichen“ Ordnung zu verwechseln. Erstere nimmt er aus dieser Verwechslung heraus als gegeben hin und fügt sich in das, was er nach seiner festen Überzeugung sowieso nicht ändern kann.

Das ist, meiner Meinung nach, auch ein wesentlicher Grund, warum menschengemachte Katastrophen, wie Genozide und Weltkriege sich jederzeit wiederholen können. Wer die menschengemachte Ordnung nicht permanent hinterfragt, ihre Fehlentwicklungen schulterzuckend zur Kenntnis nimmt oder gar durch seine Kooperation noch unterstützt, der nimmt (wissentlich oder unwissentlich) in Kauf, dass sich totalitäre Systeme etablieren können.

Zum zivilen Ungehorsam müssen die Menschen permanent ermutigt werden, gerade auch in unseren Breiten.

Disobeye. Now.

Nachtrag am 22.9.2019:
In meinem Beitrag „Wo war „Gott“ zur Zeit der Judenvernichtung, sowie im ersten und im zweiten Weltkrieg? Wieso hat er nicht eingegriffen, wo er doch allmächtig ist? Warum lässt „Gott“ das Leid zu?“ wage ich mich an eine Theodizee aus meiner ganz persönlichen Sicht. Aus dem dort Gesagten folgt, dass es eigentlich keinen Unterschied zwischen einer göttlichen und einer menschengemachten Ordnung gibt. Beide sind untrennbar verbunden, sie sind im Grunde genommen eins. Womöglich liegt die Crux darin, dass der Mensch permanent dazu neigt, sich oder vielmehr Teile von sich abzuspalten, nach außen zu verlagern und von sich getrennt anzusehen. Der Schlüssel zum Heil liegt im Hier und Jetzt. Ich darf mich an jedem neuen Tag, zu jeder neuen Stunde, in jeder neuen Sekunde entscheiden, wohin ich meine Aufmerksamkeit und Energien richte. Wenn ich mich als Werkzeug Gottes begreife, mich für die Liebe entscheide, können Wunder geschehen. Das hört sich so leicht an. Wäre es eigentlich auch, wenn ich nicht ständig wieder der Illusion verfallen würde, ich sei von Gott getrennt.

„Bleibet hier und wachet mit mir.
Wachet und betet,
wachet und betet.“

So lautet der Text eines Liedes der Communauté de Taizé. Er ist inspiriert von Mt 26,36–38, wo es heißt: „Da ergriff ihn Angst und Traurigkeit, und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir! [..] Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet.“

Für meinen Alltag bedeutet das: Meditation als Mittel der Rückverbindung zu Gott praktisch leben. Beharrlich. Immer wieder. Auch wenn es schwer fällt in unserer hektischen Zeit.

Blade Runner 2049

Die Fortsetzung des Kultfilm-Klassikers aus dem Jahr 1982, einem meiner absoluten Lieblingsfilme, hat mich mehr als positiv überrascht. Sie entfaltet eine kluge Story, die kombiniert ist mit einem visuell überwältigenden Setting und unterlegt von einem sphärisch-pulsierenden bis betörend-melancholischen Soundteppich, der von Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch geknüpft wurde. Das alles ergibt für sich genommen schon eine ziemlich geniale Mischung. Hinzu kommen die meisterhafte Kameraarbeit von Roger Deakins und die hervorragenden schauspielerischen Leistungen, unter anderem von Ryan Gosling und natürlich des alten Haudegens Harrison Ford. Ihr seht schon, ich lobe den Film über den grünen Klee. Aber das hat er meiner Meinung nach auch verdient.

Ein Meisterwerk, das im Bereich Science Fiction neue Maßstäbe setzt.

Wie bereits sein Vorgänger versteht es der Film sehr gut die existenziellen Fragen des Menschseins aufzuwerfen, ohne direkte Antworten zu geben. Wo beginnt es und was macht es überhaupt aus? Gibt es Intelligenz ohne Seele? Wie sehr sind wir geprägt von Erinnerungen und daran beteiligten Emotionen? Was ist Leben? Sind Lebewesen mehr als biochemisch gesteuerte Algorithmen?

„Blade Runner“ bedeutet nach meiner Interpretation so viel wie „Der, der die Klinge führt. Der den sauberen, harten Schnitt macht zwischen menschlicher Existenz, die leben darf und maschineller Existenz, die ausgeschaltet werden muss, wenn sie dem Menschen zur Gefahr wird. Der die Grenzen zieht zwischen belebter und unbelebter Materie“. Den Protagonisten dieser Geschichten wird diese Rolle aufgezwungen. Deckard: „No choice, huh?“. Bryant: „No choice, pal.“ In beiden Filmen wird für mich deutlich, dass dieses Grenzen ziehen eigentlich unmöglich und daher fragwürdig ist. Zwischen schwarz und weiß gibt es keine klaren Linien, dafür viele, viele Graustufen. In Blade Runner 2049 wird das unterstrichen durch eine omnipräsente Dunst- und Nebelglocke, welche das düstere Utopia, eine mögliche Erde der Zukunft, in ihren dicken, undurchschaubaren Schleier hüllt.