Es war einmal in den 1970er Jahren, als nach dem Wirtschaftswunder in Deutschland die Ölkrise fast alle Menschen mit Dach über dem Kopf eiskalt erwischte – und zwar buchstäblich. Plötzlich wurde klar, dass fossile Energie ein knappes Gut ist. *ironie an* Welche Überraschung! *ironie aus* Die Folge: Dämmstoffe waren fortan nicht nur ein Mittel zur Isolierung der eigenen vier Wände, sondern auch ein Symbol für nationalen Zusammenhalt. Deutsche im kollektiven Trotz gegen gierige Ölkonzerne. 1977 ging die Wärmeschutzverordnung (WSchV) dann auch relativ problemlos durch den Bundestag und Deutschlands erster Schritt zur Rettung der warmen Stuben war getan.
Energiesparen wird allgemeinverbindlich
Der Sprung ins neue Jahrtausend brachte uns nicht nur flache Bildschirme, sondern auch die Energieeinsparverordnung (EnEV, 2002). Die politische Elite auf EU-Ebene hatte erkannt, dass der Klimawandel mit dem Verbrauch fossiler Energieträger zusammenhängt. Man verständigte sich auf Maßnahmen auf nationaler Ebene. Endlich wurden mit der EnEV Neubauten und Renovierungen nach einem einheitlichen Standard geregelt.
Doch wie bei allen guten Ideen in Deutschland musste erst ein Gesetz geschaffen werden, das alle technisch möglichen Maßnahmen bündelt: das Gebäudeenergiegesetz (GEG, 2020). Allerdings erwies sich auch das GEG nicht gerade als ein Gamechanger, sondern eher als Mischmasch aus bestehenden Regelungen – quasi die Gesetzesversion eines Drei-Gänge-Menüs aus Resten im Kühlschrank. Es hatte zwar das Zeug zum Sattmachen, aber niemand wollte es wirklich, einfach weil es nicht sexy war.
Klimaziele mit Heizfaktor
„67 % weniger CO₂ bis 2030!“ hieß es großspurig im Klimaschutzgesetz von 2019. Und während andere Sektoren, wie zum Beispiel die Energiewirtschaft, kontinuierlich Fortschritte machten, wurde im Vergleich dazu der Gebäudesektor zunehmend zum Klimaproblemkind. Zu viele fossile Heizungen, im Altbestand sowieso, aber auch in Neubauten. Zu wenige Wärmepumpen, zu langsamer Fortschritt. Und im Hintergrund drohte die EU bereits mit Strafzahlungen.
Das Wirtschaftsministerium bereitet die GEG-Novellevor
2023 war es dann so weit: Die GEG-Novelle sollte alles besser machen. Endlich Klimaschutz, endlich Fortschritt! Die Kernpunkte: Ab 2024 nur noch Heizsysteme mit 65 % erneuerbaren Energien in Neubauten und ein Fahrplan für Bestandsgebäude ab 2026.
Aber schnell wurde klar, dass es mit der Euphorie nicht weit her war. Die Novelle wurde im Volksmund zum „Heizungsgesetz“ abgestempelt – ein Name, der mit „Habeck” bald zum Reizwort der immer hitziger werdenden Debatten wurde.
Zwischen Applaus und Buh-Rufen
Befürworter und Kritiker der Gesetzesnovelle lieferten sich Schlammschlachten in den Talkshows und Social Media Kanälen der Republik. Die einen jubelten, dass der Gebäudesektor endlich auf Klimakurs gebracht wird. Die anderen belagten die Kosten für private Haushalte, bezweifelten die technische Machbarkeit und machten sich Sorgen um soziale Gerechtigkeit.
Die Regierung wusste: Das Gesetz musste durch, auch wegen der drohenden EU-Strafzahlungen, aber die Wähler mochten die Idee so sehr wie einen Kälteeinbruch im Mai. Und so wurde es am Ende mit Ach und Krach und unter schmerzhaften inhaltlichen Zugeständnissen an den damaligen Koalitionspartner FDP im Jahr 2023 beschlossen.
Ausblick
Was bringt die Zukunft? Werden Wärmepumpen zum neuen Statussymbol, neben Elektroautos? Oder werden wir noch in 20 Jahren darüber diskutieren, warum die Energiewende im Gebäudesektor nicht so recht vorankommt?
Vielleicht schreiben wir 2040 die Erfolgsgeschichte des GEG. Oder 2050, vielleicht auch erst 2060 – dann, wenn uns der Klimawandel und die massiven Völkerwanderungen aus Ländern, die bis dahin unbewohnbar geworden sind, aus den eigenen vier Wänden vertreiben werden. *ironie an* Aber hey, wer braucht eigentlich noch eine Heizung, wenn in Mitteleuropa auch im Winter Badewetter herrscht? *ironie aus*
Immerhin: Wärmepumpen können auch kühlen. Die Technik funktioniert nach demselben Prinzip wie ein Kühlschrank oder eine Gefriertruhe – oder eben wie eine Klimaanlage. Vielleicht werden sie am Ende doch noch das Symbol der Energiewende. Nur wird es dann nicht mehr um warme Wohnzimmer gehen, sondern um kühle Köpfe in einer heiß gelaufenen Welt.
„Warum tust du dir das eigentlich an?“ Die Frage durchzuckt immer wieder meine Gedanken, während ich mich langsam den Sachsenweg hinauf kämpfe. 1.400 Höhenmeter. Zehn Kilogramm auf dem Rücken. Die Sonne brennt mit 24 Grad Celsius erbarmungslos auf mich herab. Scheinbar kein Lüftchen regt sich, dafür zieht sich jeder Schritt und der Schweiß rinnt mir über die Stirn in die Augen und erzeugt dort ein unangenehmes Brennen. Überhaupt scheint mein ganzer Körper von innen heraus zu glühen. Meine Trinkflaschen leeren sich beunruhigend schnell.
„Hättest du nicht besser die Kreuzeck Standseilbahn genommen, mit der du dir ganz easy 600 Höhenmeter gespart hättest.“ höhnt der innere Zweifler. „Ja, hätte ich, nur wollte ich hier eine Bergwanderung machen und keine Kaffeefahrt.“ kläfft der Sportler in mir zurück. Doch die Verlockung der Bequemlichkeit scheint in diesem Moment so weit entfernt wie die Berghütte, die ganz am Ende der ersten Tagesetappe mit einem kühlen Bier auf mich wartet.
Ich weiß, warum ich das tue. Da ist diese Anstrengung, das schiere Gefühl der Lebendigkeit, die sich erst einstellt, wenn der Körper an seine Grenzen kommt. Und es ist auch die Befreiung von den Zwängen des Alltags, von den Geräuschen der Zivilisation, die mich im Tal noch begleiten: der Verkehrslärm, Hundegebell, das vereinzelt wahrnehmbare Klappern, Sägen, Hämmern und Bohren. Geräusche, die allmählich leiser werden, je höher ich steige. Irgendwann höre ich nur noch meinen eigenen Atem und das leise Knirschen des steinigen Untergrunds unter meinen Bergstiefeln.
Mit dem Lärm beginnt auch die Zivilisation hinter mir zu verschwinden. Die Forststraße, in die der Weg ab und an noch übergeht, und die einsamen Almen, an denen ich vorbei komme, sind die letzten Marksteine einer alpinen Kulturlandschaft, die schon bald hinter mir liegt. Der Bergwald ist hier an vielen Stellen deutlich ausgelichtet – ein unübersehbares Zeichen der vielen viel zu trockenen Jahre, die nicht nur diese Region seit 2010 heimgesucht haben. Umso ungehinderter brennt jetzt die Sonne auf mich herab.
Und dann, nach gut drei Stunden unermüdlichen Aufstiegs, erreiche ich die Baumgrenze. Der Weg flacht ab, verläuft nun mehr und mehr parallel zu den Höhenlinien, anstatt sie in steilem Winkel zu durchschneiden wie zuvor. Eine Welle der Erleichterung durchströmt mich. Die körperliche Qual liegt hinter mir, und ich kann die Ruhe und die unberührte Schönheit der Natur um mich herum genießen.
Eher unscheinbare Schilder weisen auf den Beginn der Kreuzeck-Durchquerung hin.
Mein Ziel heute: die Salzkofel-Hütte, die sich auf knapp 2.000 Metern Höhe befindet. Gestern Abend bin ich mit dem Zug nach Salzburg gereist, habe dort in einem Hostel übernachtet, bevor ich heute Morgen um 8:10 Uhr vom Salzburger Hauptbahnhof aufbrach. Über Bad Gastein und den Tauerntunnel den Alpenhauptkamm durchquerend, erreichte ich Spittal an der Drau. Dort stieg ich in die S1 um, die mich in Richtung Lienz brachte. An der Station Sachsenburg-Möllbrücke, am Beginn des Drautals, startete schließlich mein heutiges Abenteuer.
Der Kreuzeck-Höhenweg ist etwas ganz Besonderes – ein echter Geheimtipp für Freunde von Hüttentouren, des Wanderns von Berghütte zu Berghütte. Diese Berggruppe zählt zu den Hohen Tauern, doch erwartet hier niemand spektakuläre Klettersteige oder imposante Gletscherblicke. Stattdessen lockt der Weg mit einer abwechslungsreichen, oft rauen Landschaft, einer reizarmen Umgebung und wenigen kleinen, dafür aber umso authentischeren Berghütten, die allesamt auf 2.000 Metern und darüber liegen und nur zu Fuß erreichbar sind.
So führt mich mein Weg weiter in Richtung Salzkofelhütte. Ich mag diesen Abschnitt, nicht nur wegen der wiedererlangten Leichtigkeit nach dem anstrengenden Aufstieg, sondern auch wegen der romantisch anmutenden Lage knapp oberhalb des Bergwaldes. Die Luft ist klar, und die sich immer wieder bietenden Ausblicke hinunter ins Tal sind atemberaubend. Unterhalb einer großen Alm entdecke ich einen perfekten Ort für eine kleine Rast, etwas abseits des Weges.
Der Blick ins Tal: Vorne schlängelt sich die Drau, im Hintergrund liegt Spittal.
Ich setze mich ins weiche Gras, öffne meinen Rucksack und hole die mitgebrachten Snacks hervor: knusprige Brotchips, rauchig-würzige Dauerwurst und eine Mischung aus Nüssen und getrockneten Früchten. Einfach, aber genau das Richtige für diesen Moment. Die Natur um mich herum ist still, nur das leise Rauschen des Windes im Gras begleitet meine Pause. Es sind diese einfachen Freuden, die das Leben auf den Bergen so besonders machen.
Unterhalb einer Alm suche ich mir ein ruhiges Plätzchen für eine kleine Rast.
Nur wenige Wanderer machen sich auf diesen Weg. Die, die es tun, wissen dessen Einsamkeit zu schätzen. Abends, nach anstrengenden Etappen, kommen sie in den einfachen, urigen Hütten zusammen, um die Erlebnisse des Tages Revue passieren zu lassen, sich mit anderen Wanderern auszutauschen, gemeinsam zu essen, zu trinken, zu spielen und zu lachen. Hier, fernab der Zivilisation, scheint die Last des Alltags von den Schultern zu fallen. Es ist, als würde die Höhe nicht nur die Sorgen, sondern auch die Mauern zwischen den Menschen schmelzen lassen. Gespräche, die unten im Tal undenkbar wären, entwickeln sich ganz natürlich, fast zwanglos. Die Hütte wird zum Ort der Unbeschwertheit, an dem der wahre Kern des Menschseins aufblitzt.
Weiter geht es auf einem sanften Anstieg, der mich zur Salzkofelhütte führen wird, die auf knapp 2.000 Metern liegt. Doch bevor ich mein Ziel erreiche, erlebe ich noch das Highlight des heutigen Tages: Kurz vor der Hütte kreuzt ein kleiner Gebirgsbach meinen Weg, der aus der Höhe herab fließt. Ohne lange zu überlegen, entledige ich mich meiner verschwitzten Kleidung und lasse mich in eine der klaren, kalten Gumpen sinken. Die Kühle des Wassers durchdringt meinen Körper, wäscht die Müdigkeit und den Schweiß des Tages fort. Es ist ein Moment purer Erfrischung, der den Tag perfekt abrundet.
Nach dem Bad ziehe ich frische Kleidung an und wasche meine durchgeschwitzten Sachen aus, um sie später auf der Hütte zum Trocknen aufzuhängen. Nur eine halbe Stunde trennt mich noch von meinem Ziel, und mit leichten Schritten setze ich meinen Weg fort. Der Weg wird flacher, und dann erblicke ich endlich die Salzkofelhütte ganz in der Nähe. Als ich ankomme, werde ich herzlich empfangen. Barbara und Helmut, die beiden Wirtsleute, betreiben die Hütte seit einigen Jahren. Es ist sofort spürbar, dass ihnen diese Aufgabe Freude bereitet und dass sie ihre Gäste mit offenen Armen empfangen. Ihre Herzlichkeit und die Wärme der Hütte machen das Ankommen zu einem ganz besonderen Moment.
Die Salzkofelhütte ist nicht zuletzt dank seiner Wirte Barbara und Helmut etwas ganz Besonderes.
Mit einem kühlen Bier setze ich mich auf die Terrasse der Salzkofelhütte. Die Sonne neigt sich langsam dem Horizont zu, taucht die umliegenden Gipfel in ein sanftes, goldenes Licht. Um mich herum breitet sich eine friedliche Ruhe aus. Später sitze ich mit den anderen Wanderern zusammen, die auch an diesem Tag auf die Hütte gekommen sind. Wir tauschen Geschichten aus, lachen und genießen das einfache, aber köstliche Essen. In diesen Momenten merke ich, dass die Hütte mehr als nur ein Ort zum Schlafen ist – sie ist ein Ort der Begegnung und des Austauschs, ein Ort, an dem Fremde zu Freunden werden. Ich lege mich ins Bett und denke darüber nach, was mich morgen erwartet. Der nächste Abschnitt des Kreuzeck Höhenwegs soll lang sein, aber auch unglaublich schön.
Das „Kraftplatzl“ oberhalb der Hüttenterrasse
Am nächsten Morgen breche ich bereits um 7 Uhr auf, um den Hausberg der Salzkofelhütte, den nahegelegenen Salzkofel, zu erklimmen. Der Himmel ist strahlend blau. Gottlob liegt der Weg, der die knapp 500 Höhenmeter auf den Gipfel überwindet, anfangs im Schatten. Mein schwerer Rucksack kann zunächst auf der Hütte bleiben, und ohne diese Last fühlt sich der Aufstieg fast mühelos an. Nach gut einer Stunde stehe ich auf dem Gipfel und lasse den Blick über die imposante Berglandschaft schweifen. Im Nordwesten glitzern die Gletscher des Großglockners in der Ferne, und im Süden zeichnen sich die rötlich schimmernden Lienzer Dolomiten ab – ein Anblick, der den frühen Aufstieg mehr als belohnt.
Auf dem Salzkofel (2.498 Meter)
Auf dem Rückweg treffe ich auf die Frau mit dem Gipsarm, die ich am Abend zuvor bereits auf der Salzkofelhütte bemerkt hatte. Sie ist mit ihren vier Söhnen, die zwischen sechs und zwölf Jahre alt sind, sowie einer Freundin unterwegs. Heute früh begleitet sie nur ihren ältesten Sohn, während die anderen bereits in Richtung Feldnerhütte aufgebrochen sind. Zurück auf der Salzkofelhütte, nach genau zwei Stunden, schnappe ich mir meinen Rucksack und verabschiede mich herzlich von Barbara und Helmut.
Die Feldnerhütte ist auch mein nächstes Ziel, doch der Weg dorthin ist noch weit. Die heutige Etappe, der Heinrich-Hecht-Weg, führt mich als erstes zur Goldgrubenscharte auf 2.450 Metern. Der Anstieg ist durchgehend der Morgensonne ausgesetzt, und ich spüre bereits jetzt die Hitze des Tages, die mich begleiten wird. Kurz vor der Scharte entdecke ich am Wegrand Saskia und Dietmar, die ich bereits auf der Salzkofelhütte kennengelernt hatte. Sie sitzen auf den warmen Steinen, genießen die Stille und erholen sich von den Strapazen des steilen Anstiegs. Ihr Angebot, eine Pause bei ihnen einzulegen und ihr Essen zu teilen, lehne ich dankend ab. Zwar schätze ich die Geselligkeit, aber heute liegt noch ein weiter Weg vor mir, und neben dem Genuss treibt mich auch der sportliche Aspekt an. Ich möchte weiter, die Etappe fordert ihren Tribut, und die brennende Sonne lässt keine Zeit für lange Pausen.
Blick zurück von der Goldgrubenscharte
Später erfahre ich, dass Saskia und Dietmar gar kein Paar sind, sondern sie „nur“ eine Wanderfreundschaft verbindet. Er kommt aus München, sie aus dem Ruhrgebiet. Kennengelernt haben sie sich einst über ein Onlineportal für Wanderfreunde, und seitdem hält ihre Freundschaft an. Immer wieder verabreden sie sich zu gemeinsamen Touren, und diese Verbindung scheint über die Jahre gewachsen zu sein, getragen von ihrer gemeinsamen Leidenschaft für die Berge.
Der heutige Weg ist tatsächlich anspruchsvoll, und die Sonne steht den ganzen Tag gnadenlos am Himmel. Gegen Mittag kommt ein frischer, zeitweise sogar fast unangenehm böiger Wind auf und einige Wolken ziehen vorüber. Vielleicht sind dies die ersten Anzeichen für den Wetterwechsel, der für die nächsten Tage angekündigt ist. Der Heinrich-Hecht-Weg, vermutlich benannt nach seinem Erfinder, führt mich fast durchgehend über die Südhänge der Berge. Ob dies wohl daran liegt, dass die Südhänge früher schneefrei sind oder ob Heinrich Hecht einfach ein Sonnenliebhaber war? Fakt ist, Schatten ist heute Mangelware, und so bleibt mir nichts anderes übrig, als meine Essenspause in praller Sonne, an einen Felsen gelehnt, einzulegen.
Typisch für den Heinrich-Hecht-Weg sind seine kargen, aber durchweg sonnenverwöhnten Berghänge.
Am frühen Nachmittag komme ich an einer abgelegenen Alm vorbei, die dank EU-Fördermitteln bewirtschaftet wird. Ohne diese Unterstützung würde sich wohl niemand finden, der die entbehrungsreiche Arbeit auf sich nehmen würde. Als ich passiere, streut die Bäuerin gerade Salz für die Kühe auf große Steine. Ich bleibe kurz stehen und wir wechseln ein paar Worte, doch die Verständigung ist schwierig. Ihr Kärntner Dialekt ist stark, und so bleibt es bei ein paar freundlichen Gesten. Wir wünschen uns gegenseitig einen schönen Tag, und ich setze meinen Weg fort.
Schon lange ist die Feldnerhütte am Horizont sichtbar, anfangs noch ganz klein in der Ferne. Doch die letzte Stunde des Weges zieht sich scheinbar endlos hin, jeder Schritt kostet Kraft, die Müdigkeit wird stärker. Schließlich, nach einem langen Tag, erreiche ich am Nachmittag die Hütte. Die Erleichterung, endlich am Ziel zu sein, mischt sich mit der Freude auf ein erfrischendes Bad im Glanzsee, der sich direkt hinter der Hütte befindet. Ich tauche in das eiskalte Wasser ein und spüre, wie die Kühle meinen Körper vom Schweiß und der Anstrengung des Tages befreit. Es ist ein wohltuendes Gefühl. Nach dem Bad wasche ich meine Kleidung aus und hänge sie zum Trocknen hinter der Hütte auf, wo die Sonne noch warm scheint und immer ein wenig Durchzug herrscht.
Endlich angekommen an der Feldnerhütte
Der Hüttenwirt, Bruno, seit über 20 Jahren auf der Feldnerhütte, ist ein echtes Original. Seine Berliner Herkunft erkennt man sofort an seiner unverblümten „Berliner Schnauze“, die er auch hier in den Alpen nicht abgelegt hat. An diesem Abend stehen zwei Gerichte zur Auswahl: Rindergulasch und Kärntner Nudeln mit Krautsalat, eine regionale Spezialität. Nachdem sich fast alle auf der Terrasse für die Nudeln entschieden haben, kommt Bruno heraus, setzt sich zu uns und verkündet mit einem verschmitzten Grinsen: „Also, wenn jetzt noch eena die Kärntner Nudeln bestellt, krieg ick in der Küche ’n Problem, wa?“
Das Gespräch dreht sich schnell um das Thema Vegetarismus. Bruno erzählt, dass nach der Hauptsaison, wenn nur noch Einheimische auf die Hütte kämen, die Nachfrage nach vegetarischen Gerichten deutlich zurückgehe. Überhaupt sei es für ihn schwierig, vegetarisch zu kochen, weil frisches Gemüse nur mühsam aus dem Tal auf die Hütte gebracht werden könne. Seine Hütte verfügt weder über eine Zufahrtsstraße noch über einen Lastenaufzug. Ich schlage vor, dass er auch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen könnte, die nicht unbedingt frisches Gemüse erfordern. Doch Bruno winkt ab – man merkt, dass er als Koch einen hohen Anspruch an sich selbst hat und seinen Gästen das Beste bieten möchte.
Dann kommt das Thema auf die Stromversorgung der Hütte. Bruno erklärt, dass das Wasserkraftwerk, das normalerweise die Hütte mit Strom versorgt, aufgrund der langen Trockenheit kaum noch verlässlich arbeitet. Aktuell muss er die Hütte mit einem Dieselgenerator betreiben, was nicht nur teuer ist, sondern auch den kräftezehrenden Treibstofftransport aus dem Tal erfordert. Er denkt ernsthaft darüber nach, Fotovoltaikmodule zu installieren, um unabhängiger von den Wetterbedingungen zu werden, insbesondere in Kombination mit dem wassergetriebenen Generator.
Ironischerweise besteht nach übereinstimmenden und neuesten Erkenntnissen der meisten Klimaforscher ein Zusammenhang zwischen dem massenhaften Fleischkonsum der Menschen und den Veränderungen des Erdklimas, dessen Folgen Bruno hier auf seiner Hütte doch unmittelbar zu spüren bekommt. Ob er diese nicht sehen kann oder nicht sehen möchte? Die Frage muss offen bleiben, denn ich habe mich nicht getraut, ihn direkt danach zu fragen. Auch weil ich fürchtete, ihm damit die Laune zu verderben. Zumal er während des Gesprächs angemerkt hatte, dass es „richtje militante Vegetarier“ gebe.
Bruno wirkt auf mich wie ein liebenswerter Brummbär. Er schimpft viel, aber man merkt, dass er sich viele Gedanken macht und mit Leidenschaft dabei ist. Die Zukunft der Alpenvereinshütten in ihrer jetzigen Form sieht er als gefährdet an. „Es jeht keener mehr ran, der det noch machen will.“, sagt er nachdenklich. Er selbst sei nur Hüttenwirt, weil es ihm Spaß mache. Obwohl er skeptisch klingt, glaube ich ihm dennoch – seine Leidenschaft und Sorge um die Hütte sind deutlich spürbar.
Der Glanzsee direkt hinter der Feldnerhütte speist auch das Wasserkraftwerk.
Diesen Abend verbringe ich mit Saskia, Dietmar und Nick am Tisch in der gemütlichen Stube der Feldnerhütte. Wir greifen zu „Mensch ärgere dich nicht“ und Uno – Spiele, die man im normalen Alltag kaum noch spielt. Doch hier in den Bergen, fernab der Ablenkungen des täglichen Lebens, bekommen die einfachen Dinge einen ganz anderen Stellenwert. Es tut gut, sich auf solche simplen Freuden zu besinnen.
Nick, mit seinen 25 Jahren bereits Friseurmeister, ist ein lebenslustiger Typ. Beim Spielen blüht er förmlich auf, und seine fröhliche Art steckt die ganze Gruppe an. Er ist auch der sportlichste Wanderer des bunt zusammengewürfelten Trüppchens, das sich in dieser Woche von der Salzkofelhütte auf den Weg zum Anna Schutzhaus gemacht hat. Seine Energie und Ausdauer sind beeindruckend, und er ist immer vorne mit dabei, egal wie anspruchsvoll die Etappe ist.
Das Lachen und die lockere Stimmung lassen die Anstrengungen des Tages schnell vergessen. Vergnügt lassen wir den Tag bereits um 20 Uhr ausklingen. Anderntags möchte ich um 5.30 Uhr frühstücken und um 6 Uhr aufbrechen, weil für den Nachmittag Schauer und Gewitter angekündigt sind. Als ich mich später auf meinen Schlafplatz zurückziehe und ein letztes Mal aus dem Fenster blicke, sehe ich, wie sich die umliegenden Gipfel sanft gegen den roten und rasch dunkler werdenden Abendhimmel abheben. Es ist einer dieser seltenen Momente, in denen die Zeit stillsteht – ein Augenblick, der mir in seiner Schlichtheit und gleichzeitig Tiefe so unendlich kostbar erscheint.
Die dritte Etappe ist die anstrengendste und zugleich schönste des Kreuzeck-Höhenwegs. Landschaftlich abwechslungsreich, mit zwei Gipfeln, der Umrundung von Vierzehn Seen und einer langen, anspruchsvollen Gratüberschreitung, sowie einer kleinen Überraschung bietet sie fast alles, was das Herz eines alpinen Wanderers höher schlagen lässt.
Als ich wie jeden Morgen den Wecker meines Smartphones klingeln höre und nach dem Gerät greife, traue ich meinen Augen kaum: 5.33 Uhr. Wie kann das sein? Ich hatte doch 5.10 Uhr eingestellt! Oh nein, ich hatte die Ohrenstöpsel drin und den Alarm nicht gehört. Mein Handy hat also die ganze Zeit gebimmelt und womöglich alle anderen im Schlaflager geweckt. Wie peinlich! Beschämt ziehe ich mich schnell an, mache eine Katzenwäsche und begebe mich in die Gaststube, wo Bruno bereits mit dem Frühstück und einem Riesenpott Pfefferminztee auf mich wartet. Auch Nick sitzt schon am Tisch, bereit für den Tag. Noch finde ich nicht viele Worte – der Tag ist einfach noch zu jung.
Um 6.15 Uhr brechen wir schließlich auf zu unserem ersten großen Ziel: dem Kreuzeck, mit rund 2.700 Metern einer der höchsten Gipfel der gleichnamigen Gebirgs-Gruppe. Beim Glenktörl lassen wir unsere Rucksäcke stehen und klettern leichteren Schrittes die letzten 250 Höhenmeter hinauf. Oben angekommen, eröffnet sich uns ein atemberaubender Blick über die Nord- und Südalpen. So früh am Morgen auf einem Berggipfel zu stehen, hat etwas ganz Besonderes. Über den Nordalpen zeichnet sich eine Wolkenfront ab – die Vorboten des angekündigten Wetterwechsels. Wir sehen, dass das Hochdruckgebiet, in dem wir uns befinden, dagegen hält. Doch wie lange noch?
Früher Aufbruch von der FeldnerhütteKreuzeck-Gipfelkreuz (2.701 Meter)
Zurück am Glenktörl treffen wir auf die vier Jungs, die mit ihrer Mutter und der Freundin etwas später nach uns gestartet sind. Sie wollen auch noch hinauf aufs Kreuzeck. Ich lasse Nick ziehen – er ist deutlich schneller unterwegs als ich. Kaum habe ich das Glenktörl hinter mir gelassen, versperrt ein großer Fels den Weg. Nur ein schmaler Spalt gewährt den Durchlass für den weiteren Weg. Direkt danach erwartet mich die einzige Kletterstelle der gesamten Tour, sogar mit Seilversicherung. Eine kurze, aber willkommene Abwechslung zur sonst technisch wenig anspruchsvollen Wegführung.
Nach der Umrundung der malerischen vierzehn Seen erreiche ich das Kirschentörl auf 2.400 Metern. Und hier wartet eine besondere Überraschung: Ein Briefkasten der österreichischen Post, der während der Sommermonate täglich geleert wird – angeblich der am höchsten gelegene Briefkasten Österreichs! Ein echter Marketinggag, denke ich schmunzelnd, während ich mich niederlasse und aus meinen Vorräten neue Energie für den zweiten Gipfel des Tages tanke: das Hochkreuz.
Teil der Vierzehn Seen
Erst zuhause erfahre ich durch Recherchen im Internet, dass der Postkasten gar nicht durch die österreichische Post aufgestellt wurde, sondern auf eine „Schnapsidee“ eines pensionierten Bahnbediensteten zurück geht. Über einen Freund besorgte dieser sich einen ausrangierten Postkasten und stellte ihn kurzerhand am Kirschentörl auf. Dort steht er nun und wird anscheinend wirklich täglich von seinem Ersteller geleert. Ich finde, für dieses kostenfreie Marketing hat er sich mindestens die Verleihung eines Ehrentitels durch die Post verdient.
Der Postkasten am Kirchentörl (2.400 Meter)
Der weitere Aufstieg zieht sich hin und scheint kein Ende nehmen zu wollen. Zum Glück habe ich wieder ausreichend Wasser dabei, denn die Sonne lässt mich auch heute gehörig schwitzen. Doch ich versuche, das Positive zu sehen: Trotz der angekündigten Wetteränderung hält sich das Hochdruckgebiet stabil. Oben auf dem Hochkreuz angekommen, eröffnet sich mir erneut ein gigantischer Blick über die Alpen. Ein Gefühl von Glück und Erhabenheit durchströmt mich. Wie schön sind doch die Berge! Wie schön ist dieser Planet, diese Erde! Warum gehen wir Menschen nur so grausam damit um? Dabei wäre es so einfach: Wenn jeder Mensch zufrieden wäre mit dem wenigen, das er wirklich zum Leben benötigt, würden viel weniger Ressourcen verbraucht und das Klima geschont. In den Bergen, fernab von Überfluss und Konsum, wird mir einmal mehr bewusst, wie wenig es eigentlich braucht, um glücklich zu sein. Die Stille, die klare Luft, die Weite der Landschaft – das alles ist unbezahlbar. Und doch nehmen wir es als selbstverständlich hin, bis es vielleicht eines Tages nicht mehr da ist.
Das Hochkreuz ist mit 2.709 Metern der höchste Gipfel der ganzen Tour.
Auch wenn die meisten Höhenmeter nun geschafft sind, hat es der letzte Abschnitt der heutigen Etappe in sich. Der Weg setzt sich als Gratwanderung entlang der Schwarzwände fort, windet sich mäandernd mal höher, mal tiefer, immer wieder mit Seitenwechseln, die kleinere Aufstiege und Abstiege mit sich bringen. Dieser Weg ist wunderschön, mit atemberaubenden Ausblicken auf die umliegenden Bergketten und schwindelerregenden Tiefblicken direkt neben dem schmalen Pfad. Jeder Fehltritt könnte hier fatale Folgen haben. Jetzt ist besondere Konzentration und Durchhaltevermögen gefragt.
Gratwanderung entlang der Schwarzwände
Irgendwann ist es endlich geschafft, und die Hugo-Gerbers-Hütte kommt in Sichtweite. Nick ist bereits dort und hat es sich bequem gemacht – ansonsten ist noch niemand eingetroffen. Glücklich über die gemeisterte Etappe stoßen wir mit einem kühlen Bier auf den Tag und unser Wohl an. Aus der anderen Richtung nähert sich eine ältere Frau, die allein unterwegs ist. Sie kommt vom Anna Schutzhaus, dem Ziel unserer letzten Etappe, und erreicht die Hütte nur kurz nach uns. Sie ist es auch, die als Erste die „Dusche“ in Beschlag nimmt.
Die „Dusche“ der Hugo-Gerbers-Hütte
Dusche? Nun, nicht im klassischen Sinne. Die Gerbers-Hütte verfügt über kein fließendes Wasser. Etwa fünf Gehminuten entfernt, hinter einem Felsblock, ist ein behelfsmäßiges Holzgestell aufgebaut, durch das ein Wasserschlauch eiskaltes Wasser aus einem Gebirgsbach leitet. Auch ich nutze die Gelegenheit, mich vom Körperschweiß dieser Etappe zu befreien. Brrr, das Wasser ist eiskalt, aber gleichzeitig wunderbar erfrischend.
Die Gerbers-Hütte hat keinen festen Hüttenwirt, sondern wird wochenweise von wechselnden Teams von Freiwilligen bewirtschaftet. Heute werden wir von drei jungen Leuten bewirtet, die sich liebevoll um uns kümmern. Es gibt eine Eierschwammerlsuppe – auf Deutsch: Rahmsuppe mit Pfifferlingen – als Vorspeise. Der Hauptgang besteht aus gebratenen Klößen mit Eiern, und als Nachspeise gibt es Vanillepudding. Alles ist unglaublich lecker, besonders nach einer so anstrengenden Wanderung.
Hugo-Gerbers-Hütte (2.347 Meter)
Am Abend unterhalte ich mich mit der Frau, die kurz nach uns an der Hütte eingetroffen ist. Sie erzählt mir, dass sie bereits in Rente ist und, genau wie ich, gerne alleine unterwegs ist. Jeden Sommer nimmt sie sich vier Wochen Zeit, um sich eine Auszeit in der Natur zu gönnen. Zwei Wochen verbringt sie in den Alpen und anschließend zwei Wochen in Ligurien, wo sie das milde Klima und die Küste genießt.
Im Gespräch erwähnt sie, dass sie keine Kinder hat und dies im Nachhinein ein wenig bedauert. Es macht sie nicht traurig, aber ein Teil von ihr ärgert sich darüber, dass sie es so lange aufgeschoben hat, bis es schließlich zu spät war. Dennoch, so sagt sie, ist sie zufrieden mit ihrem Leben. Wie schön, dass sie es so sehen kann! Ihre Gelassenheit und Zufriedenheit mit dem, was ist, beeindruckt mich. Es ist ein stiller Moment der Reflexion über verpasste Chancen und die Kunst, das Leben dennoch anzunehmen, wie es gekommen ist.
Auch wenn das Wetter heute noch gehalten hat, spüren wir deutlich, dass der Wechsel unmittelbar bevorsteht. Der Abendhimmel ist zeitweise stark bedeckt, und Wolkenformationen kündigen Regen an. Am nächsten Morgen, es ist wieder 6 Uhr, treten wir mit gepackten Rucksäcken vor die Hütte und entdecken, dass es in der Nacht wirklich geregnet hat. Die umliegenden Gipfel sind teilweise in Nebel gehüllt. Im letzten Moment sehe ich noch die Frau, die bereits ins Tal absteigt. Sie hatte am Vorabend lange überlegt, ob sie die Etappe bis zum Hochkreuz fortsetzt oder nicht. Das Wetter hat ihr die Entscheidung abgenommen.
Am nächsten Morgen umhüllen Wolken die umliegenden Gipfel.
Heute nimmt Nick einen der vier Jungs, den ältesten, mit auf die letzte Etappe. Die beiden Bergfexe verschwinden schnell im Morgendunst. Auch ich mache mich auf den Weg. Heute benötige ich keinen Sonnenschutz, und die kühlen Temperaturen ermöglichen mir ein schnelleres Gehen als an den Vortagen. Schon bald fallen mir viele schwarze Bergsalamander auf, die sich auf dem Weg tummeln – offenbar hat der Regen sie aus ihren Verstecken hervorgelockt.
Bald merke ich jedoch, dass die Nässe auch ihre Nachteile hat: Der Weg führt heute über viele grasbewachsene Berghänge, die durch die Feuchtigkeit rutschig geworden sind. Besondere Vorsicht ist nun gefragt. Der Weg windet sich über mehrere Scharten und kleinere Gipfel, bevor er hinab zum Wildsee führt. Dort herrscht eine fast mystische Stimmung, die durch den Nebel verstärkt wird. Doch lange halte ich mich nicht auf – es ist zu kühl, um stehenzubleiben.
Weiter geht es entlang des westlichsten Ausläufers der Kreuzeck-Gruppe in einem Auf und Ab über zahlreiche kleinere Gipfel bis zum Ederplan, von wo man an klaren Tagen einen herrlichen Blick auf Lienz, die Hauptstadt Osttirols, hat. Durch eine Wolkenlücke am Zietenkopf erhasche ich einen kurzen Blick auf Lienz – wie schön! Zugleich breitet sich ein leises Gefühl der Trauer in mir aus. Der Blick auf Lienz erinnert mich daran, dass die Rückkehr in die Zivilisation bevorsteht. Von mir aus könnte die Wanderung noch ein paar Tage weitergehen.
Immer wieder mystische Stimmungen: Hier mit Blick auf den Zietenkopf im Hintergrund.
Bisher hält das Wetter – zumindest regnet es nicht. Immer wieder öffnen sich durch Wolkenlücken schöne Blicke auf die umliegenden Berge und Täler, und ich versuche, jeden dieser Momente bewusst zu genießen. Je näher ich dem Anna Schutzhaus komme, desto breiter und ausgetretener wird der Weg – ein deutliches Zeichen dafür, dass hier bei schönem Wetter viele Tagestouristen unterwegs sind. Doch heute scheint die Bergwelt fast menschenleer. Bis auf zwei junge Frauen, die ich auf dem Zietenkopf traf, begegnet mir niemand.
Durch eine Wolkenlücke erhasche ich vom Zietenkopf einen Blick auf Lienz, die Hauptstadt Osttirols.
Kurz vor Mittag erreiche ich schließlich die Hütte. Auch hier herrscht Stille, abgesehen von zwei Hunden, die gelangweilt vor sich hin dösen. Als ich den Gastraum betrete, habe ich kurz das Gefühl, in eine Sauna zu kommen – der Kachelofen ist in Betrieb und strahlt eine wohlige Wärme aus, die einen starken Kontrast zur kühlen, nebligen Außenwelt bildet. Es ist ein Moment der Rückkehr in die Geborgenheit, aber auch der Abschied von der stillen Einsamkeit der Berge.
Der Empfang in der Hütte ist herzlich, und ich freue mich über ein kühles Weizenbier und ein großzügiges „Knödeltrio“, das heutige Tagesgericht. Spinatknödel, Rote-Bete-Knödel und Kasknödel auf einem Teller, übergossen mit einer deftigen Fettsoße – das schmeckt mir richtig gut. Bald erscheinen auch die beiden Bergfexe, die bereits eine Stunde vor mir auf der Hütte angekommen waren und sich inzwischen auf dem Zimmer ausgeruht hatten. Wir tauschen uns kurz über die heutige Wanderung aus, bevor ich eine kalte Dusche nehme und mich in frische Klamotten werfe.
Zurück in der Gaststube spielen wir eine Runde „Schnapsen“, ein Kartenspiel, das vor allem in Österreich beliebt ist. Ich lasse mir die Regeln erklären und spiele ein paar Runden mit, doch so richtig verstanden habe ich das Spiel noch nicht, besonders einige Details der Regeln bleiben mir ein Rätsel. Bei nächster Gelegenheit werde ich einen zweiten Anlauf starten müssen.
Lange sind wir die einzigen Gäste, und ich bin überzeugt, dass bis auf die acht bis zehn Leute, die mich in den letzten Tagen begleitet haben, heute niemand mehr kommen wird. Doch mein Eindruck täuscht. Nach und nach trudeln immer mehr Tagesgäste ein, und bis zum späten Nachmittag sind im Gastraum alle Tische besetzt. Von den anderen, die noch unterwegs sein müssten, fehlt jedoch jede Spur, und ein Blick aus dem Fenster lässt nichts Gutes erahnen – dunkle Wolken ziehen auf, und es scheint, als könnte es bald regnen, wenn nicht sogar ein Gewitter aufziehen.
Langsam beginnen wir uns zu sorgen, wo die anderen bleiben und ob sie es wohl rechtzeitig vor dem Unwetter zur Hütte schaffen. Die Anspannung steigt, während die ersten Tropfen gegen die Fensterscheiben schlagen. Hoffentlich kommen sie bald an – sicher und trocken.
Endlich kommen die drei jüngeren Brüder an. Sie sind in Sicherheit, und ein Stein fällt uns vom Herzen. Draußen zucken die ersten Blitze am Himmel, und die Situation wird zunehmend bedrohlicher. Die anderen Erwachsenen sind ja noch immer unterwegs. Der Regen setzt jetzt richtig ein, und ein Gewitter entlädt sich in der Nähe. Hoffentlich passiert ihnen nichts.
Minuten vergehen, in denen die Anspannung spürbar in der Luft liegt. Doch nach und nach trudeln die restlichen Wanderer ein, durchnässt, aber glücklich. Große Erleichterung breitet sich auf allen Gesichtern aus – wir sind alle wieder beisammen, und niemandem ist etwas passiert. Das Gewitter tobt draußen weiter, doch hier drinnen sind wir in Sicherheit, und das Wissen, dass wir diesen Tag gemeistert haben, bringt eine tiefe Verbundenheit mit sich.
Spielend, lachend, uns unterhaltend, essend und trinkend feiern wir den Tag und lassen die Tour gemeinsam ausklingen. Viele Stunden sitzen wir noch beisammen, genießen die Wärme der Gemeinschaft und die unbeschwerte Lebensfreude, die den Raum erfüllt.
Der Abendhimmel über Lienz nach dem Gewitter
Erst als ich am nächsten Tag im Zug nach Hause sitze, wird mir klar, wie sehr wir in diesen Tagen zusammengewachsen sind – fast ohne es zu bemerken. Was als Einzeltour in der Einsamkeit der Berge begann, endete in einer Verbundenheit, die uns alle auf dieser Reise miteinander verknüpfte. Es ist diese stille, unsichtbare Verbindung, die auch lange nach der Wanderung noch nachklingen wird.
Als der Zug in Karlstadt einfährt, muss ich aussteigen und ich schultere meinen Rucksack – das letzte Mal auf dieser Tour, wie mir in diesem Moment bewusst wird. Ein leises Gefühl von Abschied mischt sich mit einem tiefen Gefühl von Glück und Zufriedenheit über das Erlebte. Ich atme tief ein und lasse den Moment auf mich wirken, wissend, dass mit meinen letzten Schritten nach Hause etwas ganz Besonderes zu Ende geht.
In einer Zeit, die von sofortiger Bedürfnisbefriedigung und ungebremstem Konsum geprägt ist, scheint das Konzept des Verzichts fast aus der Mode gekommen zu sein. Doch eine kürzliche Veröffentlichung des Prometheus–Instituts, eines Thinktanks, der für seine wirtschaftsliberalen Beiträge bekannt ist und oft Sympathien für die Politik der FDP erkennen lässt (einer seiner Mitbegründer ist der für seine umstrittende Haltung zur sog. „Euro-Krise” vielen noch bekannte FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler), bringt dieses scheinbar altmodische Konzept zurück ins Rampenlicht. In einem bemerkenswerten Beitrag mit dem Titel „Verzicht ist sehr viel besser als sein Ruf” beleuchtet der Autor Clemens Schneider die vielschichtigen Facetten des Verzichts und argumentiert überzeugend für dessen gesellschaftlichen und persönlichen Nutzen.
Mit Verweis auf die aktuelle Fastenzeit der Christen und den Beginn des Ramadan für Muslime betont Schneider, dass der bewusste Verzicht auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung in vielen Kulturen und Religionen als Zeichen mentaler Stärke und Quelle der Resilienz gesehen wird. Von der Askese Buddhas bis zu den asketischen Tendenzen in der protestantischen Ethik, die ein Max Weber mit der Entstehung des Kapitalismus verbindet, zeigt Schneider auf, wie Verzicht als Tugend historisch verankert und gewürdigt wurde.
Gesellschaftskritik
Doch der Beitrag geht weit über eine bloße Geschichtsstunde hinaus. Schneider kritisiert die moderne Gesellschaft für ihre Neigung zur sofortigen Gratifikation, verstärkt durch die Leichtigkeit des Online-Shoppings und die Omnipräsenz digitaler Ablenkungen. Er warnt davor, dass diese Tendenzen nicht nur unsere individuelle Fähigkeit zur Selbstbeherrschung untergraben, sondern auch zu kurzfristigem Denken in der Politik beitragen, wo schnelle und oberflächliche Lösungen langfristige Strategien und echte Opferbereitschaft in den Hintergrund drängen.
Besonders aufschlussreich ist Schneiders Kritik an der aktuellen politischen Rhetorik sowie an politischen Maßnahmen, die er als unzureichend für die Bewältigung tiefergehender gesellschaftlicher und ökologischer Krisen betrachtet. Er fordert eine Rückbesinnung auf die Tugenden des Maßhaltens und der Bescheidenheit, nicht nur als Mittel zur persönlichen Entwicklung, sondern als unverzichtbare Strategie für gesellschaftlichen Fortschritt und nachhaltige Zukunftsgestaltung.
Schneider schließt mit einem Aufruf zum Umdenken, zur Wiederentdeckung des Wertes von Verzicht in einer Zeit, die von Luxus und Überfluss geprägt ist. Sein Plädoyer ist ein Weckruf, sowohl für Einzelne als auch für die Gesellschaft insgesamt, Prioritäten zu überdenken und die langfristigen Vorteile von Bescheidenheit und Verzicht gegenüber kurzfristiger Befriedigung und Konsum zu erkennen.
Was bedeutet Verzicht in der Konsequenz für die Gesellschaft?
Ob Schneider allerdings die kollektiven Auswirkungen von individuellem Verzicht konsequent zuende gedacht hat, sei einmal dahin gestellt. Würde nämlich aus Verzicht eine Massenbewegung, wäre es womöglich vorbei mit einem Wirtschaftswachstum, das sich bis in alle Ewigkeit fortsetzt.
Dies führt mich zu einem spannenden Diskurs über die Nachhaltigkeit unserer aktuellen Wirtschaftsmodelle und die möglichen Pfade in die Zukunft.
Traditionell sind moderne Volkswirtschaften auf Wachstum ausgerichtet, wobei die Erwartung stetiger Expansion eine Grundlage für Investitionen, Beschäftigung und soziale Sicherungssysteme bildet. Es zeichnet sich ab, dass eine neue Kultur des Verzichts die Transformation unserer Wirtschaftsweise unumgänglich macht.
Ich möchte nochmal auf Max Weber zurückkommen. Dieser argumentierte, dass die protestantische Ethik, insbesondere die asketischen Prinzipien des Calvinismus, eine zentrale Rolle bei der Entstehung des modernen Kapitalismus gespielt hätten. Für Weber war die Akkumulation durch Sparsamkeit also nicht nur eine persönliche Tugend, sondern auch ein Motor für wirtschaftliche Entwicklung und Fortschritt.
Mit Sicherheit ist der von Weber postulierte Determinismus zu eindimensional gedacht und wird den komplexen Wechselwirkungen der Systeme nur teilweise gerecht. Trotzdem bleibt seine Arbeit zentral für das analytische Verständnis der Beziehung zwischen Religion, Kultur und Wirtschaft. Folgt man seiner Logik, könnte man auch die These aufstellen, dass eine moderne Kultur des Verzichts nicht zwangsläufig das Ende des Wirtschaftswachstums bedeuten muss, sondern vielmehr eine Transformation desselben. Anstelle eines Wachstums, das auf stetigem Konsum und endloser Ressourcenausbeutung basiert, könnte ein neuer Wachstumsmotor entstehen, der auf Nachhaltigkeit, Effizienz und einer Ethik des Maßhaltens gründet. Ein solches Modell würde nicht nur ökologische Nachhaltigkeit fördern, sondern könnte auch zu einer gerechteren Verteilung von Ressourcen und Wohlstand führen.
Notwendig wäre ein Paradigmenwechsel auf allen Ebenen: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
Ein solcher Paradigmenwechsel würde bedeuten, dass Konzepte wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als alleiniger Maßstab für den Wohlstand einer Nation neu bewertet werden müssen, zum Beispiel zugunsten von Indikatoren, die Glück, Wohlbefinden und ökologische Nachhaltigkeit stärker gewichten. Es könnte auch eine Neubewertung dessen erforderlich sein, was wir unter „Erfolg” verstehen, sowohl auf der individuellen als auch auf der kollektiven Ebene.
Letztlich böte eine ganzheitliche Kultur des Verzichts die Chance, unsere Gesellschaften resilienter, gerechter und nachhaltiger zu gestalten. Die Herausforderung besteht darin, eine Balance zu finden zwischen dem Verzicht als einer Tugend, die individuelle und kollektive Resilienz fördert, und dem Erhalt eines dynamischen, innovativen und inklusiven Wirtschaftssystems, das in der Lage ist, sich an die sich verändernden Bedürfnisse einer globalen Gesellschaft anzupassen.
Während diese Überlegungen weit über den Rahmen eines einzelnen Blog-Beitrags hinausgehen, mögen sie als Anstoß dienen, über die Implikationen des Konzepts „Verzicht” auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tiefer nachzudenken. Fortsetzung folgt also möglicherweise …
Während der Klimawandel unaufhaltsam voranschreitet, fühlen wir uns oft ohnmächtig angesichts der zögerlichen Maßnahmen von Regierungen und der Ignoranz großer Konzerne gegenüber der Dringlichkeit dieses globalen Problems. Es scheint, als wäre unser Einfluss als Einzelne begrenzt. Doch es gibt eine mächtige Waffe, deren Potenzial viele unterschätzen: unser eigenes Konsumverhalten.
Die Rolle der Großkonzerne
Die Realität ist, dass große Konzerne für uns produzieren. Sie wachsen und gedeihen aufgrund unserer Nachfrage nach immer neuen Produkten. Wenn wir unser Kaufverhalten ändern, zwingen wir diese Unternehmen, ihre Strategien zu überdenken. Dies ist der Kerngedanke hinter der Idee eines Konsumstreiks – einer Revolution von unten, die zeigt, wie wir durch bewussten Konsum die Zukunft unseres Planeten beeinflussen können.
Unser aktueller Lebensstil im Westen ist geprägt von Luxus und Verschwendung. Diese Mentalität treibt die Konzerne dazu an, immer mehr zu produzieren – oft Dinge, die wir nicht benötigen, aber dennoch kaufen. Dieser übermäßige Konsum, dieses „immer mehr” belastet nicht nur unseren Geldbeutel, sondern auch die Umwelt.
Das Potenzial des reduzierten Konsums
Indem wir unseren Konsum radikal einschränken, können wir einen signifikanten Unterschied machen. Die Idee ist einfach: Wir konsumieren nur, was wir wirklich zum Leben brauchen. Ein solches Verhalten würde nicht nur die Verschwendung von Ressourcen reduzieren, sondern auch die Macht der Konzerne, die von unserem Konsumverhalten abhängen.
Ein Konsumstreik, der sich über ein Jahr oder länger erstreckt, kann die Strategien, wie Unternehmen sich aufstellen, fundamental verändern. Dieser Streik muss nicht radikal sein, sondern kann schrittweise umgesetzt werden. Er beginnt mit der persönlichen Entscheidung, weniger und bewusster zu konsumieren.
Minimalismus als Wegbereiter
Minimalismus ist ein Lebensstil, der sich auf das Wesentliche konzentriert und überflüssigen Konsum ablehnt. Er ist selbstbestimmt und frei von Angst, basierend auf der Erkenntnis, dass wahres Glück und Zufriedenheit nicht durch materielle Güter erreicht werden. Jeder kann Minimalismus praktizieren, sofern er den Mut dazu findet.
Fazit
Unser Konsumverhalten ist ein mächtiges Werkzeug. Wenn wir es bewusst einsetzen, können wir nicht nur unsere Lebensqualität verbessern, sondern auch einen nachhaltigen Einfluss auf die Umwelt und die Wirtschaft ausüben. Der Konsumstreik ist mehr als nur eine Idee; er ist ein Aufruf zum Handeln, eine Chance, die Zukunft aktiv mitzugestalten.
Bild: Christian Schmitt via Dall-E 3
Nachtrag für Zweiflerinnen und Zweifler
Kritische Stimmen stellen die Machbarkeit bzw. die Wirkmächtigkeit eines Konsumstreiks in Frage. Es ist richtig, dass der Gedanke eines weitreichenden Konsumstreiks zunächst utopisch erscheinen mag. Dennoch gibt es wichtige Gründe, warum dieses Konzept nicht nur möglich, sondern auch wirkungsvoll sein kann.
Die Geschichte lehrt uns, dass bedeutende gesellschaftliche Veränderungen oft von einer kleinen, entschlossenen Gruppe von Menschen ausgingen. Denken wir an die Bürgerrechtsbewegung oder den Kampf gegen die Apartheid – beide Bewegungen begannen mit einer Minderheit und wuchsen zu mächtigen Kräften heran. 1995 führte die Entscheidung von Shell, eine ausgediente Ölplattform (Brent Spar) im Atlantik zu versenken, zu einem Boykott und massiven Protesten in Europa. Shell gab schließlich nach und entschied sich für eine umweltfreundlichere Entsorgungsmethode. Das verstärkte Bewusstsein der Verbraucher für nachhaltig und ethisch verantwortungsvoll produzierte Konsumgüter führte zur Entstehung von Unternehmen wie Fairphone, die sich auf die Herstellung von ethisch produzierten Smartphones spezialisiert haben.
Jeder einzelne Beitrag zu einem Konsumstreik kann einen Schneeballeffekt auslösen. Wenn Menschen sehen, dass andere aktiv werden und Veränderungen bewirken, können sie inspiriert werden, selbst Teil der Bewegung zu werden.
In unserer vernetzten Welt haben soziale Medien das Potenzial, Bewegungen zu beschleunigen und zu verstärken. Durch das Teilen von Erfahrungen und Erfolgen können wir einander motivieren und unterstützen.
Auch wenn nicht jeder sofort radikale Änderungen vornehmen kann oder möchte, so ist doch jeder kleine Schritt in Richtung eines bewussteren Konsums bedeutsam. Selbst kleine Veränderungen können sich zu einer großen Wirkung summieren, so wie viele kleine Regentropfen zusammen eine Flut ergeben können, die Bäume und Häuser umreißt.
Der zunehmende Trend zum Minimalismus zeigt, dass ein Bewusstsein für die Vorteile eines reduzierten Konsums bereits in vielen Köpfen existiert. Die Bereitschaft, überflüssigen Konsum zu hinterfragen und zu reduzieren, scheint also bei vielen Menschen vorhanden zu sein.
Vorbilder in der Gesellschaft, die einen Konsumstreik praktizieren und unterstützen, können andere inspirieren und zum Mitmachen bewegen. Ihr Einfluss sollte nicht unterschätzt werden.
Selbst wenn der Anfang klein ist, kann jede bewusste Kaufentscheidung eine positive Wirkung haben. Es geht darum, ein neues Bewusstsein für Konsum zu schaffen.
Wir fliegen – weil wir’s können. Wir fahren Auto – weil wir’s können. Wir essen Fleisch – weil wir’s können. Wir kaufen – weil wir’s können. Die Erde schwitzt – doch unsere Freiheit ist uns heilig.
Wir drehen das Wasser auf – weil wir’s können. Wir verbrauchen Energie – weil wir’s können. Wir lassen neue Straßen bauen – weil wir’s können. Das Klima leidet – und „Schuld” sind immer die anderen.
Denn gerne lenke ICH die Verantwortung für MEIN eigenes Handeln auf andere. „Sollen doch die Großen da oben erstmal machen!“ „Sollen doch die Nachbarn mit dem dicken SUV erstmal anfangen!“
Dabei kann ICH – gleich hier und sofort – Bewahren: statt nur zu nehmen. Teilen: anstatt zu verschwenden. Hören: auf die Stimme der Natur. Ändern: wenn ich nur will.
Ich halte es für eine riesengroße und gleichzeitig fatale Illusion zu glauben, der Staat, die Staatengemeinschaft, die Politik, die politischen Netzwerke, die „Wirtschaft“ oder internationale Großkonzerne könnten den Klimawandel aufhalten. Sie können es nicht, weil sie um Dimensionen zu träge reagieren.
Die einzige Chance, die uns verbleibt, die große Klimakatastrophe abzuwenden, sozusagen das Ruder noch herumzureißen, ist jeder und jede Einzelne von uns. Wir können unser Verhalten ändern. Den Zweitwagen abschaffen. Weniger reisen. Und wenn reisen, dann per Fahrrad, Bus und Bahn. Sei es geschäftlich oder privat. Weniger konsumieren. Nur noch das Nötigste konsumieren. Unseren Lebensstil möglichst auf das Minimum reduzieren. Versuchen unser Leben an der Idee des Minimalismus zu orientieren.
Neulich abends. Ein Freund bietet mir an, mich von dem Lokal, in dem wir zusammen gespeist haben, mit dem Auto zum Bahnhof zu fahren. Der Bahnhof liegt genau entgegengesetzt seines eigenen Nachhausewegs. Ich lehne dankend ab und sage, ich könne die Viertelstunde locker zu Fuß laufen, zumal ich sowieso noch genügend Zeit habe, bis mein Zug fährt. Mein Freund schaut mich leicht verwirrt an und fragt nach, was denn der Grund sei. Ich sage ihm, das habe nichts mit ihm zu tun. Ich laufe lieber, um die Umwelt zu schonen. Nach einigem Hin und Her akzeptiert mein Freund und meint: „Ich sehe, du hast deine festen Prinzpien.“
Bei solchen Gelegenheiten frage ich mich, wie lange es wohl noch dauert, bis auch dem:der Letzten klar wird, dass es momentan an uns alleine liegt, wie es mit dem Planeten Erde weitergeht. Die „Großen“ agieren viel zu langsam, um das Ruder rechtzeitig herumzureißen. Wir können nicht mehr länger darauf vertrauen, dass übergeordnete Instanzen das Problem für uns lösen. Wir müssen jetzt ins Handeln kommen und unser alltägliches Verhalten umstellen. Und zwar jede:r einzelne. Wir alle.
Es ist vorbei. Aus und vorbei. Der Dampfer hält auf den Eisberg zu. Wir können seine Fahrt weder aufhalten noch das Ruder rechtzeitig herumreißen. Wir Menschen werden den Klimawandel, das Artensterben, den großen Raubbau an der Natur nicht mehr stoppen. Im Gegenteil, mit unserem Desinteresse für die großen Zusammenhänge, mit unserer im Erbgut angelegten Gewaltbereitschaft1 den eigenen Leuten gegenüber, mit unserer von Selbstüberschätzung gespeisten Ichbezogenheit werden wir alles nur schlimmer machen.
Egal wie man es dreht und wendet, wir befinden uns mitten im Anthropozän, das der Erde unwiederbringlich seinen Stempel aufdrückt. Die Evidenz der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den gegenwärtigen Veränderungen ist erdrückend. Sie lässt sich von niemand ignorieren, der die Früchte der Wissenschaft klugerweise nicht mit der Weisheit letztem Schluss verwechselt, aber sein Denken und Handeln im Allgemeinen danach ausrichtet, was Menschen zu erkennen in der Lage sind. Das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, ist möglicherweise in greifbare Nähe gerückt.
Warum bin ich so pessimistisch? Nun, wenn ich mir die Menschen betrachte, dann sehe ich verschiedene Verhaltensweisen.
Da gibt es die pragmatischen Idealisten, die aus den Fakten die logischen Schlüsse ziehen und auch konsequent sind. Sie stellen ihr eigenes Leben um: Dazu gehören Verzicht, Sparsamkeit und ein effizienter Umgang mit den Ressourcen. Solche Menschen reduzieren ihren Fleischkonsum, leben vegetarisch oder vegan, meiden unnötigen Luxus jeglicher Art, kaufen in Bio-, Unverpackt- und Second-Hand-Läden ein, steigen um auf Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel, lassen ihr Haus energetisch sanieren oder bauen ökologisch neu. Mit solchen Maßnahmen gelingt es in der Regel den ökologischen Fußabdruck um mehr als die Hälfte zu reduzieren gegenüber einer durchschnittlichen Lebensweise. Was in unseren Breiten noch immer zuviel ist. Eine Reduzierung auf 5 bis 6 Tonnen CO2 pro Jahr kann man als Individuum erreichen, ohne dass es allzusehr weh tut. 12 Tonnen CO2 setzt der Durchschnittsdeutsche frei. 2 Tonnen jährlich dürften es eigentlich nur sein. (Hier kann man seine eigene CO2-Bilanz berechnen.)
Dann sind da die Besorgten. Diese sehen zwar die Not, aber die Verantwortung nicht zuerst bei sich: „Die Politik soll es richten. Die großen Umweltsünder in Wirtschaft und Landwirtschaft müssen zuerst gebändigt werden. Und es muss verbindliche Spielregeln für alle geben.“ Deshalb leben sie ihren Lebensstil, der die Ressourcen von zwei bis drei Erden pro Jahr verbraucht2 weitgehend weiter, wählen aber tendenziell grün. Sie sind der Meinung, das eigene Verhalten erst ändern zu müssen, wenn die Rahmenbedingungen für alle angepasst und so auch andere gezwungen werden, mitzumachen.
Den Hedonisten wiederum ist ihre Umwelt ziemlich egal, Hauptsache, sie haben ihren Spaß. Sie nehmen die Signale zwar wahr, beachten sie aber nicht weiter bzw. ziehen sie ins Lächerliche, um sich damit nicht ernsthaft befassen zu müssen. Und außerdem glauben sie, so schlimm wird es schon nicht werden, schließlich ist die Menschheit bisher mit allen Veränderungen gut klar gekommen.
Viele Vertreter unserer Elterngeneration fahren PS-starke Diesel-Autos, gerne auch „gepanzert“ (SUVs) Für sie sind E-Autos moderne Ausgeburten des Schwachsinns. Ihr in den 1970er oder 1980er Jahren erbautes Einfamilienhaus wird selbstverständlich nicht gedämmt („da hole ich mir nur den Schimmel ins Haus“) und die tägliche Fleischportion auf dem Teller ist vom Discounter („Bio in allen Ehren, aber die Preise sind ja unverschämt“).
Für Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger ist die Reduktion ihres CO2-Fußabdrucks ohnehin finanziell nicht leistbar. Vertreter linker Parteien verweisen regelmäßig auf die Ungerechtigkeiten, die ökologische Gesetze für sozial Benachteiligte mit sich bringen.
Dann gibt es eine nicht zu unterschätzende Gruppe politisch liberaler Menschen. Diese haben im günstigen Fall aufgrund ihres Bildungsniveaus noch das Einsehen, dass Veränderungen notwendig sind, lehnen es jedoch kategorisch ab, andere Menschen dazu zu zwingen. Schon gar nicht die Wirtschaft, die ja in einer globalisierten Welt mit solchen Auflagen nicht konkurrenzfähig wäre.
Das wiederum hält die „Generation Greta“ für legitim, die lautstark für deutlich strengere Gesetze eintritt. „Folgt endlich der Wissenschaft“ lautet ihre Devise. Und: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut.“ Dass sie ihr eigenes Handeln nicht immer in Einklang bringen mit ihren Forderungen irritiert sie nicht.
Viele Menschen sind von einem Fortschrittsglauben beseelt, der sie hoffen lässt, die Katastrophe lasse sich mit menschlichem Erfindungsgeist abwenden oder zumindest deutlich abmildern. „Die Menschen haben für alles bisher eine Lösung gefunden“ lautet ihr unerschütterliches Mantra, das keinen Widerspruch duldet. Schließlich hat es die Menschheit in ihren Augen bis hier und heute weit gebracht. Sie hegen kaum Zweifel, dass der Menschheit eine große Zukunft bevorsteht.
In eine ähnliche Kategorie fallen die Menschen mit religiösem oder spirituellem Bezug. Esoteriker zähle ich auch dazu. So verschieden sie im Detail aufgestellt sein mögen: Ihnen ist gemein, dass sie die eigene Verantwortung gerne an höhere Mächte abgeben. Sie glauben fest daran, dass sich immer alles zum Guten wendet. Sie beten oder meditieren täglich und warten so auf ein Wunder. Und wenn das am Ende alles nicht weiterhilft, bleibt ihnen ja noch das Paradies im Jenseits oder die Hoffnung auf eine neue Chance durch Wiedergeburt.
Nicht zuletzt seien die Menschen genannt, die den menschengemachten Klimawandel noch immer nicht wahrhaben wollen. Nicht nur diese verschließen Augen und Ohren auch gerne bei den Themen Artensterben, Flächenfraß, Vermüllung der Erde durch Plastik und Abholzung der Regenwälder.
Diese Aufzählung stellt naturgemäß nur eine relativ willkürliche und unvollständige Momentaufnahme unserer eigenen Gesellschaft dar. Dazwischen gibt es so viele Abstufungen, Mischformen und Variationen wie es Menschen gibt. Dennoch möchte ich nach einigen Rückmeldungen mir wohlgesonnener Personen gerne noch einen Phänotypen betrachten:
Da wäre der Vielbeschäftigte zu nennen. Dem zwischen Beruf und Familienleben einerseits sowie zwischen gesellschaftlichem Engagement und „Freizeitstress“ eingespannten, modernen Menschen westlicher Prägung fehlt schlicht die Zeit, sich mit den komplexen Zusammenhängen des Klimawandels tiefergehend zu befassen. Zumindest nicht tiefgehend genug für die Erkenntnis betreffend der Auswirkungen seines eigenen Verhaltens auf das Erdklima. Das Bewusstsein des > pragmatischen Idealisten, nämlich dass das Verhalten jedes Einzelnen einen nicht unbedeutenden Beitrag im Rahmen der großen Zusammenhänge zu leisten vermag, fehlt ihm. Doch selbst wenn dies in glücklicheren Fällen als gegeben vorausgesetzt werden darf, neigt der Vielbeschäftigte dazu, sich ihr zum Trotz bestimmte Privilegien herauszunehmen, von denen er glaubt, sie sich durch harte Arbeit irgendwie verdient zu haben. Womit er seinen vermeintlich kleinen Beitrag zur Erderwärmung letztlich moralisch rechtfertigt. „Und außerdem, sollen doch die anderen erstmal machen.“ Fatal ist das deswegen, weil die Summe dieses Verhaltens vieler Menschen, gerade der Mitglieder technologisch fortgeschrittener Gesellschaften, doch genau die Auswirkungen zeitigt, die hier betrachtet werden.
Die Auslastung des Individuums durch Vielbeschäftigung impliziert weiterhin eine gewisse Tendenz zur Trägheit und/oder Unfähigkeit, das eigene Handeln angemessen und nachhaltig an vorhandene Erkenntnisse anzupassen. Verhaltensänderungen müssen bewusst eingeübt und in den Lebensalltag integriert, sowie von Zeit zu Zeit kritisch reflektiert, ggf. wiederholt nachjustiert werden. Das alles ist mit Arbeit verbunden und kostet Kraft und Zeit, die dem Vielbeschäftigten verständlicherweise knappe Güter sind. Und nicht zuletzt ist das sich-Einschränken, das kritische Hinterfragen eigener Konsumentscheidungen (das heißt im Alltag bspw. auf die eine oder andere Autofahrt zu verzichten und stattdessen das Fahrrad zu nehmen), auch irgendwie „uncool“. Siehe den > Hedonisten.
Darüber hinaus sind wir eingebettet in eine globalisierte Welt. Der Blick über den Tellerrand offenbart hier leider keinen Silberstreif am Horizont. Im Gegenteil, das heterogene Bild der eigenen Gesellschaft lässt sich im Prinzip übertragen auf die Vielfalt der Völker. So erkennt man, dass jedes Land und jede Gesellschaft eigene Strategien in Wahrnehmung und Umgang mit der Krise fährt. Von einer dringend notwendigen Einigkeit in der Erkenntnis, geschweige denn im Handeln sind wir, die große Menschheitsfamilie, leider Lichtjahre entfernt.
20 bis 30 Jahre bleiben uns noch, um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen um Größenordnungen zu verhindern, mit denen selbst eine so anpassungsfähige Spezies wie der Homo sapiens nur noch sehr schwer fertig wird. Im weiteren Verlauf werden unumkehrbare Kipppunkte3 im Ökosystem der Erde eintreten. Das Eis wird dann überall noch schneller schmelzen und die Meerespiegel rasant ansteigen lassen. Die Permafrostböden werden vollends auftauen und das darin gebundene Treibhausgas Methan in die Atmosphäre abgeben. Wie ein Turbo werden diese und einige Effekte mehr die Klimaveränderungen noch beschleunigen. Das sind die übereinstimmenden Erkenntnisse der Wissenschaftler.
Infografik: Welt verfehlt Klimaziel von Paris | Statista Infografik: Der Meeresspiegel steigt kontinuierlich | Statista
Die Titanic wird also sinken. Ganz langsam zwar und für unser Zeitempfinden kaum wahrnehmbar. Aber doch so schnell, dass unsere Anpassungsfähigkeit womöglich nicht ausreichen wird, um geeignete Lösungen für unser aller Überleben schnell genug zu entwickeln.
Werfen wir einen Blick auf die großen Hoffnungen des Menschen:
Lösungen kann nur der Staat organisieren Bei uns sind jegliche politische Entscheidungen abhängig von Mehrheitsverhältnissen. Das nennt sich Demokratie. Wir leben in einem Rechtsstaat, dessen Fundament die Menschenrechte bilden. Wie soll es je gelingen, alle die oben genannten, sich teilweise stark widersprechenden Haltungen innerhalb einer Gesellschaft unter einen Hut zu bringen? Selbst wenn dieses Wunder bei uns gelänge, wäre mit einem einzelnen Staat doch gar nichts gewonnen. Es müssten ja alle Staaten der Erde am selben Strang ziehen. Oder wenigstens die meisten. Wir sind weit davon entfernt. Viel zu weit. Alle großen Klimakonferenzen, selbst das Pariser Klimaschutzabkommen waren bisher nicht mehr als fromme Lippenbekenntnisse, denen kaum Handeln folgte.
Der intelligente Mensch und seine technischen Lösungen Das Drama nahm eigentlich seinen Lauf mit der Sesshaftwerdung des Menschen. Ackerbau und Viehzucht sicherten nicht nur die Existenz, sondern verschafften die Freiheit, sich fortan auch anderen Dingen zu widmen als dem nackten Überleben. Die Werkzeuge und Waffen wurden mit der Zeit immer raffinierter und die Arbeitsteilung zwischen den Menschen immer differenzierter. Gleichzeitig wurde die Menschheit größer und größer – dank gesicherter Ernährung und fortschrittlicher Hygiene und Medizin. Die heutige Zivilisation ist hochgradig komplex. Die Entfremdung aber des Menschen von seiner ursprünglichen Natur wächst mit jeder neuen Erfindung. Heute ist es bereits denkbar, dass ein Mensch fast sein ganzes Leben in virtuellen Welten verbringt und er diese nur noch zur Befriedigung basaler Grundbedürfnisse kurzzeitig verlässt. Die Natur dagegen ist für den Menschen nur noch eine Ressource, die er nach Belieben ausbeutet. Dass er Teil eines großen Systems ist, gerät mehr und mehr in Vergessenheit. Wie soll es also technisch weitergehen? Wird es innerhalb der nächsten Jahre bahnbrechende Erfindungen geben, die ein Fortbestehen der Umwelt sichern, von der unser Überleben so sehr abhängt? Ich glaube nicht daran. Im Gegenteil. Auf die Technik zu setzen, das ist für mich wie den Teufel mit dem Beelzebub austreiben wollen. Kleines Beispiel: Kernkraft. In Jahrzehnten ist es nicht gelungen, trotz Milliarden-Investititionen und durch Einsatz tausender, hochintelligenter Ingenieure, die Kernkraft so zu bändigen, dass sie kein Betriebsrisiko mehr darstellt und auch kein Müllproblem mit sich bringt. Ein Atom ist unvorstellbar klein. Wie soll es da in den wenigen uns verbleibenden Jahren gelingen, Erfindungen auf den Weg zu bringen, die Probleme gigantischen Ausmaßes lösen? Wem dieser Vergleich zu polemisch ist: Wer eine Straße baut, erntet Verkehr. Wer zur Entlastung mehr und größere Straßen baut, erntet noch mehr Verkehr. Die Technik des Menschen drängte bisher fast immer die Natur zurück. Um es mit Albert Einstein zu sagen: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ und: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
Beten bzw. Meditieren Allen religiösen und spirituellen Eiferern seien die Fragen gestellt: „Wer ist es, wenn nicht ihr selbst, durch die ein wie auch immer geartetes, liebendes Universum handelt? Glaubt ihr allen Ernstes, durch Beten und/oder Meditieren allein würde sich irgendetwas ändern in dieser Welt?“ Es mag sein, dass der Mensch durch spirituelle Übungen zur Besinnung kommen kann. Daraus muss aber eigenes Handeln folgen, sonst ist alles Üben umsonst.
Was folgt aus all dem für mich persönlich?
Ich könnte laut losheulen, wenn es denn etwas bringen würde. Ich gehe jedoch unbeirrt meinen Weg des pragmatischen Idealisten (siehe oben). Ich glaube noch immer an den Satz: „Viele kleine Menschen in kleinen Orten, die kleine Dinge tun, können die Welt verändern.“ Und: „Du musst die Veränderung sein, die du in der Welt sehen willst.“ (Mahatma Gandhi)
Was meine Mitmenschen betrifft, so kann ich heute ganz entspannt sein. Ich weiß inzwischen, dass jeder und jede in seiner/ihrer eigenen Haut steckt, aus der man nicht einfach so heraus kann. Es gibt keinen Grund irgendjemand einen Vorwurf zu machen für sein vergangenes und gegenwärtiges Handeln oder Nichthandeln. Moralisieren und Verurteilen hilft uns nicht weiter4. Im Gegenteil vertieft es die Gräben zwischen den Menschen. Trotzdem werden sie wahrscheinlich keine Lösung für ihre Probleme finden. Weil sie sich untereinander nicht einig sind, vor allem nicht in solch großen, existenziellen Fragen. Das ist bereits in ihren Genen so angelegt.
Ist das alles ein Grund zu verzweifeln?
Davon bin ich weit entfernt. Mein Pessimismus bezieht sich auf die Zukunft der Menschheit. Auch wenn die unausweichliche Katastrophe langsam in greifbare Nähe rückt, geschehen die Veränderungen schleichend. Es ist ein Tod auf Raten und unsere Generation hat das Privileg dabei zuschauen zu dürfen. Das ist nicht zynisch gemeint, sondern Ausdruck meiner Demut gegenüber dem Wunder der Schöpfung. Das große Werden und Vergehen hat schließlich bereits Millionen Arten vor uns (und in letzter Zeit verstärkt durch uns) das Leben gekostet.
Homo sapiens ist ein faszinierendes wie mutiges Projekt der Natur, von dem man heute bereits sagen kann, dass es wohl scheitern wird. Aber das ist okay so. Denn davon geht die Welt nicht unter.