Archiv für den Monat: Mai 2025

Warum ich Soziale Medien für geeignet halte, unser Gemeinwesen zu untergraben und die Demokratie zu zerstören

Ein persönlicher Essay über die zerstörerischen Dynamiken der digitalen Erregungsökonomie

Ich halte die sogenannten Sozialen Medien für eine der größten Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stabilität unserer Demokratie. Diese Plattformen sind nicht neutral. Sie sind so konzipiert, dass sie nicht auf Dialog, Aufklärung oder Wahrheitssuche ausgerichtet sind, sondern auf Maximierung von Aufmerksamkeit – und damit auf die systematische Verstärkung von Erregung, Empörung und Polarisierung.

Die Macht der Algorithmen

Was in unseren Feeds erscheint, entscheiden keine Redaktionen, sondern Rechenregeln. Diese Algorithmen bewerten Inhalte nicht nach journalistischer Relevanz, sondern danach, wie stark sie unsere Aufmerksamkeit fesseln. Und das gelingt am besten mit Emotionen: Wut, Angst, Spott, moralische Empörung.

Inhalte, die starke, meist negative Emotionen und Affekte auslösen, verbreiten sich schneller, erzeugen mehr Interaktionen – und werden deshalb algorithmisch bevorzugt. Was ruhig, sachlich oder differenziert ist, geht in der Aufmerksamkeitsökonomie unter. In der Folge entsteht bei Menschen, die sich primär über soziale Medien informieren, ein verzerrtes Abbild der Welt: es stellt sich ihnen krisenhafter, extremer, gefährlicher dar, als sie tatsächlich ist.

Verzerrte Wahrnehmung, fragmentierte Öffentlichkeit

Die technische Architektur sozialer Medien schafft keine gemeinsame Öffentlichkeit, sondern parallele Wahrnehmungswelten. Jeder sieht etwas anderes – je nachdem, wem man folgt, was man liked und teilt. So entstehen Echokammern und Filterblasen, in denen nur noch die eigene Meinung gespiegelt und verstärkt wird.

Der demokratische Diskurs aber braucht gemeinsame Bezugspunkte: geteilte Informationen, ein Mindestmaß an Fakten, über die gestritten werden kann. Wenn aber nicht einmal mehr Einigkeit darüber besteht, was Fakt ist, wird Verständigung schwierig bis unmöglich. Dann bleibt nur noch Misstrauen – und am Ende Zynismus.

Desinformation und Affektsteuerung

Die Plattformen machen es extrem einfach, Falschinformationen zu verbreiten – sei es aus politischen, wirtschaftlichen oder schlicht narzisstischen Motiven. Untersuchungen zeigen, dass emotionale, insbesondere falsche oder zugespitzte Inhalte sich besonders schnell verbreiten.

Soziologen und Philosophen sprechen inzwischen von einer veränderten gesellschaftlichen Verfasstheit: Wir leben in einem Zeitalter der Affekte. In „Das Ende der Illusionen: Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne“ (2019) beschreibt der Soziologe Andreas Reckwitz, wie sich die Öffentlichkeit unter dem Einfluss digitaler Medien tiefgreifend wandelt. Die Meinungs- und Willensbildung vollzieht sich heute zunehmend emotionalisiert und beschleunigt – und lässt sich kaum noch mit den langsamen, auf Ausgleich angelegten Institutionen der liberalen Demokratie in Einklang bringen.

Der Philosoph Byung-Chul Han analysiert in „Im Schwarm: Ansichten des Digitalen“ (2013) eine vergleichbare Entwicklung: Eine von sozialen Netzwerken geprägte Gesellschaft, in der Affekte die politische Kommunikation dominieren. Nicht das bessere Argument zählt, sondern die stärkere Reizwirkung – getrieben von Likes, Shares und algorithmischer Sichtbarkeit.

Aber berichten nicht auch klassische Medien vor allem über die „Aufreger”?

Das stimmt. Auch klassische Medien konzentrieren sich stark auf Skandale, Krisen und Katastrophen. Das liegt teils an ökonomischen Zwängen, teils an journalistischen Nachrichtenlogiken, die sich unter dem Slogan „Only bad news are good news“ subsumieren lassen.

Aber es gibt entscheidende Unterschiede:

  • Gatekeeping: Klassische Medien treffen redaktionelle Entscheidungen – im Idealfall unter Einhaltung von Standards wie Faktenprüfung, Einordnung, Gegenposition. Soziale Medien hingegen verbreiten Inhalte rein algorithmisch – auf Basis von emotionaler Reaktion, nicht von Relevanz.
  • Einordnung: Klassischer Journalismus bemüht sich um Kontext und Deutung. Soziale Medien fördern Reiz-Reaktions-Muster, oft ohne Quelle oder Zusammenhang.
  • Gemeinsame Öffentlichkeit: Zeitungen, TV- oder Radiosendungen unternehmen zumindest den Versuch, gemeinsame Bezugspunkte zu schaffen. Plattformen wie Facebook, TikTok oder X fragmentieren die Wahrnehmung in Milliarden individueller Streams.

Was macht das mit uns – als Bürgerinnen und Bürger, als Gesellschaft?

Wenn gesellschaftliche und politische Debatten überwiegend über Plattformen stattfinden, die Erregung und Polarisierung verstärken, dann verändert das auch unser Denken und Fühlen. Wir verlernen das Aushalten von Widerspruch und Widersprüchen, das Ringen um Kompromiss, das differenzierte Argument. Stattdessen neigen wir dazu, sofort zu urteilen – und uns sofort aufzuregen.

Die zentrale Frage lautet daher: Wie wollen wir als Gesellschaft miteinander leben?

Wie schaffen wir Räume, in denen nicht der lauteste oder wütendste Beitrag zählt, sondern das bessere Argument? Wie können wir wieder eine Öffentlichkeit ermöglichen, die Verständigung und Ausgleich sucht – statt Zersplitterung zu fördern?

Was können wir tun?

Man muss nicht gleich so weit gehen wie Schlecky Silberstein, der bereits 2018 in seinem vielbeachteten Büchlein forderte: „Das Internet muss weg.“ Und auch nicht so weit wie manche Kulturpessimisten, die in jeder schwachsinnigen TikTok-Story das Ende der Aufklärung sehen. Aber es reicht eben auch nicht, einfach weiterzumachen wie bisher – so als wäre das alles nur ein bisschen Übertreibung oder unvermeidbare Begleiterscheinung der Emanzipation von alten Autoritäten.

Wir stehen vor einer grundsätzlichen Entscheidung:
Wollen wir digitale Öffentlichkeiten, die dem demokratischen Miteinander dienen – oder algorithmisch gesteuerte Erregungsmaschinen, die uns mit einem Wechselbad aus Dopamin und Cortisol in Daueralarm versetzen und uns zugleich systematisch auseinanderdividieren?

Dafür braucht es keine Verbote – aber Gestaltung. Und Verantwortung.

Ein paar erste Schritte:

  • Medienkompetenz fördern – nicht nur in Schulen, sondern auch in der Erwachsenenbildung. Menschen müssen verstehen, wie Plattformen funktionieren, warum sie funktionieren, und was das mit unserer Wahrnehmung macht.
  • Plattformen regulieren – nicht um Inhalte zu zensieren, sondern um ihre Mechanismen transparent und demokratisch kontrollierbar zu machen. Algorithmen dürfen keine Black Boxes bleiben, die im Verborgenen unsere Gesellschaften formen.
  • Öffentliche Räume jenseits der Aufmerksamkeitsökonomie stärken – etwa gemeinwohlorientierte Plattformprojekte, lokale Diskussionsforen, journalistische Medien mit klarer ethischer Ausrichtung. Demokratie braucht Orte, an denen man streiten kann, ohne sich gegenseitig zu vernichten.
  • Eigene Gewohnheiten hinterfragen – ganz konkret. Warum teile ich diesen Beitrag? Um zu informieren – oder zur Selbstvergewisserung? Aus Sorge – oder aus Empörung? Mit wem spreche ich überhaupt noch außerhalb meiner Blase?

Denn letztlich beginnt die Demokratie bei jeder und jedem Einzelnen.

Demokratie ist eine empfindliche Pflanze

Demokratie gedeiht nicht in der Hitze ständiger Empörung. Sie braucht Raum zum Wachsen – Luft, Zeit, Geduld. Sie wurzelt in gegenseitigem Vertrauen, in der Bereitschaft, einander zuzuhören, auch wenn es schwerfällt. Sie lebt von der Hoffnung, dass wir gemeinsam Lösungen finden können – und nicht davon, dass sich der Stärkere oder Lautere durchsetzt.

Soziale Medien, wie sie heute konzipiert sind, sind kein guter Boden für diese Pflanze. Aber wir können ihn bereiten – durch Umdenken, durch bewusstere Kommunikation, auch mit Blick auf unsere persönliche Verantwortung. Vielleicht ist es an der Zeit, unsere digitale Umwelt so ernst zu nehmen wie unsere ökologische. Denn was dort wächst, liegt auch an uns.

Post scriptum:

Natürlich lässt sich einwenden, dass soziale Medien nicht nur zerstören, sondern auch verbinden, aufklären und mobilisieren können – dass sie marginalisierten Stimmen Gehör verschaffen und neue Formen von Öffentlichkeit ermöglichen. Auch ist richtig, dass klassische Medien selbst Teil jener Erregungsökonomie sind, die ich kritisiere. Und ja, Menschen sind keine bloßen Opfer von Algorithmen – sie treffen Entscheidungen, haben Handlungsspielräume.

Aber genau darin liegt mein Punkt: Die gegenwärtige Plattformlogik verengt diese Spielräume systematisch. Sie verstärkt das, was trennt, nicht das, was verbindet. Sie befördert Erregung, nicht Verständigung. Und sie tut dies nicht zufällig, sondern strukturell – eingebettet in ökonomische und politische Machtverhältnisse, die sie kaum kontrollierbar machen.

Mein Text will keine ausgewogene Gesamtschau liefern. Er will zuspitzen, wo oft verharmlost wird. Und er will fragen, was wir als Gesellschaft bereit sind zu tun, um demokratische Öffentlichkeit nicht dem Markt der Affekte zu überlassen.