Archiv für den Monat: März 2024

Wenn Neoliberale die Freiheit zum Verzicht neu entdecken

In einer Zeit, die von sofortiger Bedürfnisbefriedigung und ungebremstem Konsum geprägt ist, scheint das Konzept des Verzichts fast aus der Mode gekommen zu sein. Doch eine kürzliche Veröffentlichung des PrometheusInstituts, eines Thinktanks, der für seine wirtschaftsliberalen Beiträge bekannt ist und oft Sympathien für die Politik der FDP erkennen lässt (einer seiner Mitbegründer ist der für seine umstrittende Haltung zur sog. „Euro-Krise” vielen noch bekannte FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler), bringt dieses scheinbar altmodische Konzept zurück ins Rampenlicht. In einem bemerkenswerten Beitrag mit dem Titel „Verzicht ist sehr viel besser als sein Ruf” beleuchtet der Autor Clemens Schneider die vielschichtigen Facetten des Verzichts und argumentiert überzeugend für dessen gesellschaftlichen und persönlichen Nutzen.

Mit Verweis auf die aktuelle Fastenzeit der Christen und den Beginn des Ramadan für Muslime betont Schneider, dass der bewusste Verzicht auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung in vielen Kulturen und Religionen als Zeichen mentaler Stärke und Quelle der Resilienz gesehen wird. Von der Askese Buddhas bis zu den asketischen Tendenzen in der protestantischen Ethik, die ein Max Weber mit der Entstehung des Kapitalismus verbindet, zeigt Schneider auf, wie Verzicht als Tugend historisch verankert und gewürdigt wurde.

Gesellschaftskritik

Doch der Beitrag geht weit über eine bloße Geschichtsstunde hinaus. Schneider kritisiert die moderne Gesellschaft für ihre Neigung zur sofortigen Gratifikation, verstärkt durch die Leichtigkeit des Online-Shoppings und die Omnipräsenz digitaler Ablenkungen. Er warnt davor, dass diese Tendenzen nicht nur unsere individuelle Fähigkeit zur Selbstbeherrschung untergraben, sondern auch zu kurzfristigem Denken in der Politik beitragen, wo schnelle und oberflächliche Lösungen langfristige Strategien und echte Opferbereitschaft in den Hintergrund drängen.

Besonders aufschlussreich ist Schneiders Kritik an der aktuellen politischen Rhetorik sowie an politischen Maßnahmen, die er als unzureichend für die Bewältigung tiefergehender gesellschaftlicher und ökologischer Krisen betrachtet. Er fordert eine Rückbesinnung auf die Tugenden des Maßhaltens und der Bescheidenheit, nicht nur als Mittel zur persönlichen Entwicklung, sondern als unverzichtbare Strategie für gesellschaftlichen Fortschritt und nachhaltige Zukunftsgestaltung.

Schneider schließt mit einem Aufruf zum Umdenken, zur Wiederentdeckung des Wertes von Verzicht in einer Zeit, die von Luxus und Überfluss geprägt ist. Sein Plädoyer ist ein Weckruf, sowohl für Einzelne als auch für die Gesellschaft insgesamt, Prioritäten zu überdenken und die langfristigen Vorteile von Bescheidenheit und Verzicht gegenüber kurzfristiger Befriedigung und Konsum zu erkennen.

Was bedeutet Verzicht in der Konsequenz für die Gesellschaft?

Ob Schneider allerdings die kollektiven Auswirkungen von individuellem Verzicht konsequent zuende gedacht hat, sei einmal dahin gestellt. Würde nämlich aus Verzicht eine Massenbewegung, wäre es womöglich vorbei mit einem Wirtschaftswachstum, das sich bis in alle Ewigkeit fortsetzt.

Dies führt mich zu einem spannenden Diskurs über die Nachhaltigkeit unserer aktuellen Wirtschaftsmodelle und die möglichen Pfade in die Zukunft.

Traditionell sind moderne Volkswirtschaften auf Wachstum ausgerichtet, wobei die Erwartung stetiger Expansion eine Grundlage für Investitionen, Beschäftigung und soziale Sicherungssysteme bildet. Es zeichnet sich ab, dass eine neue Kultur des Verzichts die Transformation unserer Wirtschaftsweise unumgänglich macht.

Ich möchte nochmal auf Max Weber zurückkommen. Dieser argumentierte, dass die protestantische Ethik, insbesondere die asketischen Prinzipien des Calvinismus, eine zentrale Rolle bei der Entstehung des modernen Kapitalismus gespielt hätten. Für Weber war die Akkumulation durch Sparsamkeit also nicht nur eine persönliche Tugend, sondern auch ein Motor für wirtschaftliche Entwicklung und Fortschritt.

Mit Sicherheit ist der von Weber postulierte Determinismus zu eindimensional gedacht und wird den komplexen Wechselwirkungen der Systeme nur teilweise gerecht. Trotzdem bleibt seine Arbeit zentral für das analytische Verständnis der Beziehung zwischen Religion, Kultur und Wirtschaft. Folgt man seiner Logik, könnte man auch die These aufstellen, dass eine moderne Kultur des Verzichts nicht zwangsläufig das Ende des Wirtschaftswachstums bedeuten muss, sondern vielmehr eine Transformation desselben. Anstelle eines Wachstums, das auf stetigem Konsum und endloser Ressourcenausbeutung basiert, könnte ein neuer Wachstumsmotor entstehen, der auf Nachhaltigkeit, Effizienz und einer Ethik des Maßhaltens gründet. Ein solches Modell würde nicht nur ökologische Nachhaltigkeit fördern, sondern könnte auch zu einer gerechteren Verteilung von Ressourcen und Wohlstand führen.

Notwendig wäre ein Paradigmenwechsel auf allen Ebenen:
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

Ein solcher Paradigmenwechsel würde bedeuten, dass Konzepte wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als alleiniger Maßstab für den Wohlstand einer Nation neu bewertet werden müssen, zum Beispiel zugunsten von Indikatoren, die Glück, Wohlbefinden und ökologische Nachhaltigkeit stärker gewichten. Es könnte auch eine Neubewertung dessen erforderlich sein, was wir unter „Erfolg” verstehen, sowohl auf der individuellen als auch auf der kollektiven Ebene.

Letztlich böte eine ganzheitliche Kultur des Verzichts die Chance, unsere Gesellschaften resilienter, gerechter und nachhaltiger zu gestalten. Die Herausforderung besteht darin, eine Balance zu finden zwischen dem Verzicht als einer Tugend, die individuelle und kollektive Resilienz fördert, und dem Erhalt eines dynamischen, innovativen und inklusiven Wirtschaftssystems, das in der Lage ist, sich an die sich verändernden Bedürfnisse einer globalen Gesellschaft anzupassen.

Während diese Überlegungen weit über den Rahmen eines einzelnen Blog-Beitrags hinausgehen, mögen sie als Anstoß dienen, über die Implikationen des Konzepts „Verzicht” auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tiefer nachzudenken. Fortsetzung folgt also möglicherweise …