Nach Thomas Hobbes, sozusagen dem „Urvater“ der modernen Staatstheorie, befindet sich der Mensch im Naturzustand in einem Krieg „aller gegen alle“, was man gemeinhin als Anarchie bezeichnet. Erst der Staat, der „Leviathan“ (1651) könne diesen Zustand aufheben und für Frieden zwischen den Menschen sorgen. Auch für Immanuel Kant ist Frieden kein Zustand, in dem Menschen sich natürlicherweise befinden. In seinem berühmten Werk „Zum ewigen Frieden“ (1795) philosophiert er darüber, wie ein dauerhafter Frieden zwischen den Staaten möglich wäre, wenn von der Vernunft geleitete Maximen eingehalten werden.
Doch was, wenn die Auffassung der Menschen darüber, was vernünftig sei, stark auseinander geht? Was, wenn unser Verständnis von „Vernunft“ nicht die Maxime von Staatslenkern vom Schlage eines Wladimir Putin ist, sondern vielmehr das unverhohlene Streben nach Ausdehnung ihres Herrschaftsbereichs, wofür sie auch bereit sind den Wohlstand ihres Landes zu gefährden und Menschen zu opfern? Nicht wenige Politologen sind der Auffassung, dass auf zwischenstaatlicher Ebene selbst heute, trotz eines inzwischen komplexen und beinahe undurchschaubaren Geflechts internationaler Verträge und Handelsbeziehungen, ein Zustand der Anarchie anzutreffen sei.
Nach Putins Invasion in die Ukraine und damit in einen souveränen europäischen Staat, steht die sogenannte „westliche Welt“ wieder in einer Eintracht zusammen, wie man sie zuletzt aus der Zeit des kalten Kriegs kannte. Und wieder kann der Westen nicht einfach als „Polizei“ eingreifen und den Aggressor stoppen. Zuviel steht auf dem Spiel, auch angesichts der atomaren Pattsituation. Viel auf dem Spiel steht nun auch für die internationalen Großkonzerne (die Rüstungsindustrie einmal ausgenommen) und für die Internetmilliardäre dieser Welt. Sollte der Krieg in der Ukraine weiter andauern, wird der Westen nicht umhin kommen zu seinem letzten Druckmittel zu greifen: den totalen Importstopp fossiler Energieträger aus Russland. Dies wird nach Ansicht vieler Ökonomen zu einem beispiellosen Einbruch der Wirtschaftsleistung in Europa, aber auch weltweit führen, dessen Folgen heute unabsehbar sind. Fast sicher ist, dass Millionen Menschen arbeitslos würden, mit allen sozialen und mittelfristig auch politischen Konsequenzen. Auch die Ernährungssituation vieler Länder, allen voran in Nordafrika, darf schon heute als prekär bezeichnet werden, da diese in erheblichem Maße von Nahrungsmittelimporten aus der Ukraine und Russland abhängig sind. Fallen diese aus, wofür derzeit einiges spricht, dürften wir in naher Zukunft eine Flüchtlingswelle erleben, deren Dimensionen alles sprengt, was wir bisher gekannt haben.
Da für soviele mächtige Akteure nun soviel auf dem Spiel steht („Geld regiert die Welt“), habe ich mich gefragt, was würde eigentlich passieren, wenn Putin von einer Partei angegriffen würde, die de facto staatenlos ist? Auf internationaler Ebene herrscht, wie oben dargelegt, ein quasi anarchischer Zustand. Was, wenn sich in diesem staatenlosen und damit rechtsfreien Zwischenraum eine Organisation bildete, die so stark ist, dass sie Putin die Stirn bieten kann? Gegen welches Territorium könnte Putin sein Atomwaffenarsenal richten, wenn der Gegner über gar kein Territorium verfügt?