Genießertour auf dem Berliner Höhenweg im Zillertal/Tirol

Die Zillertaler Alpen sind eine ganz besonders schöne Gegend, das muss ich gleich einmal vorweg schicken. Unsere Genießertour im August 2019 war mein erster Besuch in diesem herrlichen Fleckchen Tirols und es wird sicher nicht mein letzter gewesen sein.

Es beginnt schon mit der Anreise bis Mayrhofen, die sich von Deutschland aus ganz bequem und völlig problemlos mit dem Zug bewältigen lässt. In knapp 5 Stunden ist man von Würzburg bis Mayrhofen gefahren und taucht sogleich ein in eine völlig andere Welt. In Mayrhofen geht es sehr touristisch zu, ein klassischer Wintersport-Ort, der aber auch im Sommer sehr gut besucht ist. Ein Hotel reiht sich an das nächste und das fast unüberschaubare Angebot an Cafés, Restaurants, Sportgeschäften und Souvenirläden zeugt von der Kaufkraft der Gäste.

Nach letzten Besorgungen setzen wir, Mark, Florian und ich, unsere Anreise per Bus fort bis in den Nachbarort Finkenberg, wo wir auf der schönen Terrasse des Hotels Persal ein kleines Mittagsmahl einnehmen und diverse Biere verkosten. Die Speisekarte weist deren über 80 Sorten aus, die meisten davon Craft-Biere aus der Region, aber unter anderem auch aus Deutschland, Tschechien, Belgien, den Niederlanden und sogar aus Übersee.

Gestärkt können wir nun den 3-stündigen Aufstieg zu unserer ersten Übernachtungsstation, der Gamshütte, angehen. Der Wanderpfad schlängelt sich auf unzähligen Serpentinen über 1.000 Höhenmeter durch den malerischen Bergwald. Zeit sich auszutauschen, Zeit für angeregte Gespräche über Politik und Gesellschaft, aber auch Zeit durchzuatmen und den Kopf frei zu kriegen.

Die Gamshütte ist eine sehr kleine, aber dafür umso urigere Hütte. Die Duschen befinden sich im Freien, der Waschraum unter der Hütte, und das Wasser ist eiskalt. Wir brauchen noch einen Moment, um vom Komfort der modernen Zivilisation auf einfachere Verhältnisse zurückzuschalten. Die Wirtsleute erleben wir als sehr freundlich, es geht dort gemütlich und familiär zu.

Anderntags machen wir uns um 8 Uhr bereit zur ersten und, mit 9 Stunden Gehzeit, gleichzeitig längsten Etappe unserer Tour.

Knapp oberhalb der Gamshütte ein Blick zurück nach Mayrhofen

Der Weg von der Gamshütte zum Friesenberghaus hat es gleich in mehrfacher Hinsicht in sich. Zum einen ist es einfach eine sehr lange Etappe, die Kondition und Durchhaltevermögen einiges abverlangen. Zum anderen verläuft der „schwarze“, also mit der höchsten Schwierigkeitsstufe deklarierte Wanderweg durchgehend auf über 2.000 Höhenmeter, damit oberhalb der Baumgrenze, und in Kombination mit seiner Ausrichtung zur Sonne hin wird einem an richtigen Sommertagen ganz schön eingeheizt. Wobei wir Glück haben mit dem Wetter, denn es ist heute wechselnd bewölkt mit vielen sonnigen Abschnitten, und dabei nicht zu warm. Landschaftlich bietet sich uns ein herrliches Bild, mit reizvollen Ausblicken über die Zillertaler Alpen bis nach Südtirol und immer wieder Einblicken in die Hochtäler zwischen den langgestreckten Bergketten.

Auf dem Weg zum Friesenberghaus, Blickrichtung Südwesten
Felsblöcke pflastern auf dieser Etappe über weite Strecken unseren Weg

Am späten Nachmittag haben wir unseren mentalen Tiefpunkt erreicht, nachdem hinter dem x-ten Bergrücken mit immer wieder anstrengenden Auf- und Abstiegen noch immer nicht die ersehnte Hütte in Sicht kommt. Dazu gesellt sich ein Wetterwechsel, der uns zum einen die Sicht raubt und zum anderen mit Graupelschauern „erfreuen“ möchte. Doch endlich ist das Friesenberghaus erreicht, wo uns bereits Hans, unser vierter Mann, erwartet, der an dem Tag von der Dominikushütte aufgestiegen ist. Wir kommen gerade rechtzeitig zum Abendessen und die Strapazen sind rasch vergessen. Die Gaststube der Hütte ist rappelvoll und auch die Schlafplätze sind an diesem Tag ausgebucht. Dank unserer Vorreservierung schlafen wir in Zweibett-Zimmern, ein eher seltener Luxus in den Bergen. Das Friesenberghaus wird bewirtschaftet von jungen Wirtsleuten mit Kindern. Man merkt der ganzen Mannschaft an, dass ein guter Geist auf der Hütte herrscht. Trotz der vielen Gäste wirken die Leute sehr entspannt und sind immer freundlich.

Abstieg vom Friesenberghaus

Der nächste Morgen präsentiert sich anfangs wolkenverhangen. Jedoch klärt sich der Himmel im Laufe des Vormittags zusehends auf und das Wetter bleibt stabil. Der Übergang zur Olperer Hütte gestaltet sich, vor allem aufgrund seiner Kürze, als nicht zu anspruchsvoll, und bietet uns immer wieder reizvolle Ausblicke hinunter zum Schlegeisspeicher, dem Oberbecken eines Pumpspeicherkraftwerks. Als wir am Nachmittag kurz vor der Hütte eine Hängebrücke passieren, sind wir erstaunt über die vielen Leute, die an der Brücke anstehen. Zunächst wundern wir uns, warum immer nur ein Mensch hinübergeht, bis wir erkennen, dass diese jeweils für ein Foto posieren. Kopfschüttelnd gehen wir bis hinunter zur Olperer Hütte. Dort klärt sich das Rätsel für uns auf. Wir sind an einem touristischen Hotspot angekommen. Die Massen an Tagestouristen kommen großteils vom Speichersee hochgewandert. Und die Hängebrücke ist wohl eines der beliebtesten Fotomotive im Zillertal.

Olperer Hütte mit Blick auf den Schlegeisspeicher
DER Instagram-Hotspot im Zillertal

Die Olperer Hütte ist eine sehr moderne Hütte, mit seinen großen Panorama-Fenstern in der Gaststube. Sie wurde im Jahr 2008 neu errichtet. Am Haus selbst gibt es für uns nichts zu meckern, jedoch finden wir sie schon arg überlaufen.

Die dritte Etappe führt uns zunächst hinab zum Schlegeisspeicher. Obwohl wir relativ früh dran sind, begegnen wir unterwegs den Karawanen an Menschen, die vom Parkplatz hinauf zur Hütte ziehen. Uns wird bewusst, dass die Wirtsleute täglich eine logistische Meisterleistung vollbringen. Und das ohne Straßenanbindung und ohne Lastenaufzug. Die Hütte wird komplett mit dem Hubschrauber versorgt. Wie lange wohl noch, in Zeiten des menschengemachten Klimawandels?

Unten angekommen, legen wir an der Dominikushütte eine Mittagsrast ein. Auf der Terrasse werden wir super nett bedient. Ich glaube, wenn mich jemand nach der Definition von „Gastfreundlichkeit“ fragte, dann würde ich die Hüttenwirtin als Beispiel nennen.

Auf der Staumauer des Schlegeisspeichers. Knapp oberhalb ist die Dominikus-Hütte gelegen.

Schweren Herzens brechen wir wieder auf, unserem eigentlichen Ziel entgegen, dem Furtschaglhaus. Nach der Umrundung des Speichersees geht es in einem kurzen, aber knackigen Aufstieg bergan, und schon sind wir oben. Auch hier treffen wir auf ein volles Haus, aber wen wundert’s? Es ist Wochenende und für den Sonntag ist herrliches Wetter gemeldet. Die Hütte selbst ist vorbildlich organisiert, für meinen Geschmack fast überorganisiert. Aber alles läuft wie am Schnürchen. Die Wirtsleute sind bestimmt, aber freundlich. Wie bereits auf der Olperer Hütte verbringen wir einen vergnüglichen Hüttenabend bei „Mäxchen“, Bier und Kaiserschmarrn. Lediglich das Frühstück am anderen Morgen gestaltet sich als etwas stressig: Das Gedränge und die Luft in der zu engen Gaststube lassen uns nach draußen ausweichen.

Letztes Gruppenfoto vor dem Abschied
Auf zum Schönbichler Horn

Nun heißt es für uns Abschied nehmen: Hans und Florian steigen ab ins Tal. Danke für drei bzw. vier wunderbare Tage mit euch! Mark und ich machen uns bei herrlichem Kaiserwetter auf zur Berliner Hütte. Der 850 Hm – Aufstieg zum Schönbichler Horn liegt zu dieser Tageszeit noch größtenteils im Schatten, was ein großer Vorteil ist: So kommen wir nicht so schnell ins Schwitzen. In knapp 3 Stunden sind wir oben. Die letzten 100 Höhenmeter gestalten sich als durchaus anspruchsvolle Kletterei, teilweise mit ausgesetzten Stellen. Vom Gipfel haben wir dank des Wetters einen wunderbaren Fernblick, besser kann es nicht sein.

Klettersteig zum Schönbichler Horn (Westseite)
Auf dem Schönbichler Horn haben wir eine super Fernsicht
Gipfelkreuz des Schönbichler Horns
Klettersteig zum Schönbichler Horn (Ostseite)

Dann kommt der Abstieg auf die andere Seite, der es wirklich, wirklich in sich hat. Insgesamt müssen wir an dem Tag rund 1200 Höhenmeter abbauen! Davon die ersten 150 Höhenmeter wieder als Klettersteig mit Schwierigkeitsgrad I. Auch die restlichen rund 1.000 Höhenmeter sind nicht von Pappe. Es geht über einen durchweg holprigen und stolprigen, mit Geröll und Felsbrocken durchsetzten Pfad, der unseren Gelenken bis zum bitteren Ende das Äußerste abverlangt. Vor allem die Sprunggelenke spüre ich abends dann deutlich. Aber auch die Knie machen sich schmerzhaft bemerkbar.

Brücke über die Schmelzwasser der Gletscher

Belohnt für die langen Strapazen werden wir mit einem Aufenthalt in der altehrwürdigen Berliner Hütte, der für uns tatsächlich einer Zeitreise in die Kaiserzeit gleicht. In den großen, kunstvoll holzvertäfelten Speisesaal hätte die Gamshütte locker hinein gepasst (ohne Übertreibung!). Daneben gibt es noch weitere Säle und Räume, wo Menschen sitzen, essen, trinken und spielen. Erwähnenswert auch die Eingangshalle mit Empfangs-Schalter. Wirklich die komplette Ausstattung stammt noch aus kaiserlichen Zeiten, bis hin zu den Toiletten hinter dem Speisesaal. Wir haben ein Zweibett-Zimmer mit Einzelbetten (und richtigem Bettzeug) für uns alleine. Der Kaiserschmarrn, den wir am späten Nachmittag einnehmen, erweist sich als eine solch riesige Portion, dass wir abends kaum mehr Appetit haben auf das Abendessen. Bei dieser Gelegenheit lernen wir auch das Pärchen Sabrina (aus Kalifornien) und Kati (aus Wien) kennen, die sich an unseren Tisch gesellen. An dem Abend bringen wir der jungen Kalifornierin das Mäxchen-Spielen bei.

Empfangshalle der Berliner Hütte
Großer Speisesaal der Berliner Hütte
Berliner Hütte von außen

Anderntags dann der Übergang zur Greizer Hütte über Schwarzsee und Mörchenscharte. Hat sich das Wetter am Morgen bereits deutlich eingetrübt, bleiben wir beim Aufstieg noch trocken. Ganz anders dann die Situation auf der Mörchenscharte. Dichter Nebel verhüllt uns jegliche Sicht. Ein eiskalter Wind zwingt uns, warme Kleidung anzuziehen. Und es setzt Regen ein. Die ersten 100 Höhenmeter bergab sind wieder als Klettersteig zu bewältigen, auch hier teilweise mit Schwierigkeitsstufe I. Bei Nässe gestaltet sich das nochmal schwieriger, aber wir meistern es ganz gut. Direkt im Anschluss geht es über enge Serpentinen steil über ein Schutt- und Geröllfeld, das unseren Gelenken wiederum alles abverlangt. Über einen Grasrücken geht es weiter bergab, und dann in eine enge Schlucht hinein. Im Finale des 900 Hm-Abstiegs dann ein zweiter, kurzer Klettersteig, der als Schlusspointe mit einer senkrecht an einer Felswand angebrachten Aluleiter aufwartet. Danach geht es auf wackeligen Brücken über reißende Wildbäche, bevor wir endlich den Aufstieg zur Greizer Hütte in Angriff nehmen können. Der Regen bleibt uns ein treuer Begleiter bis zu unserer Ankunft. Dafür werden wir am späten Nachmittag noch mit etwas Sonne belohnt, so dass wir auch unsere Schuhe und Kleidung etwas trocknen können. Die Greizer Hütte erlebe ich als sehr positiv: freundliche Wirtsleute, gutes Essen und ruhige Zimmer. Bemerkenswert auch der Ziegenbock mit den dicken Klöten, der mehr als einmal durch die Gaststube gelaufen kommt. Auch der Spieleabend, wieder mit Sabrina und Kati, sowie – neu – Paul aus den Niederlanden, gestaltet sich als sehr gemütlich, lustig und unterhaltsam. An dem Abend erfahren wir, dass die beiden Mädels gerade eine längere Auszeit nehmen und einen Reiseblog betreiben. Wenn ihr mögt, schaut mal rein: moonhoneytravel.com

Schwarzsee
Auf dem Weg zur Mörchenscharte
Blick von der Greizer Hütte

Ausgeruht und gestärkt können wir anderntags den Übergang zur Kasseler Hütte in Angriff nehmen. Die Lapenscharte ist zwar recht unspektakulär, aber auch ab hier setzen recht bald Regenschauer ein, die uns an diesem Tag immer wieder begleiten sollen. Nach dem Abstieg von der Lapenscharte ist die Kasseler Hütte auf der gegenüberliegenden Seite des Talkessels sichtbar, den wir nun hufeisenförmig zu umrunden haben. Obwohl der weitere Weg keine größeren Auf- und Abstiege mehr bereit hält, bietet er doch die eine oder andere Überraschung. Zum Beispiel in Form von sehr schwierig zu überkletternden Felsschrägen, oder auf wackeligen Steinen zu überquerenden, reißenden Wildbächen, und auch einigen seilversicherten Kletterpassagen. Gegen Nachmittag lassen die Schauer endlich nach, so dass die eine oder andere Pause für uns drin ist.

Lapenscharte
Der wolkenverhangene Talkessel zwischen Lapenscharte (links) und Kasseler Hütte (rechts)
Das letzte Stück zur Kasseler Hütte

Auf der Kasseler Hütte sollen wir unseren letzten Abend auf über 2.000 Metern verbringen, aber das wissen wir zu dem Zeitpunkt noch nicht. Um ausreichend ausgeruht zu sein für die letzte große Etappe, die 9 bis 10 Stunden über den Sieben-Scharten-Steig zur Edelhütte, legen wir uns früh ab. In der Nacht setzt heftiger Regen ein, der bis in den Morgen anhält. Um 8 Uhr dann die Ansage vom Hüttenwirt, der Steig sei heute nicht oder nur unter erheblichem Zeitaufwand zu gehen. So entscheiden wir um 9 Uhr, eine Regenpause abzuwarten und dann ins Tal abzusteigen. Mit uns warten noch weitere Leute, so dass sich schnell eine gemütliche Vormittags-Spielerunde zusammenfindet. Bei Kaiserschmarrn und Bier lassen wir es uns gut gehen. Außerdem ist da noch ein älterer Herr aus Hessen, der sich tags zuvor den Fuß verknackst hatte und nicht mehr weiter laufen kann. Zuerst heißt es, er werde mit dem Helikopter abgeholt. Da jedoch das Wetter nicht besser wird, wollen ihn die Bergretter mit einer rollbaren Trage zu Tal bringen. Als wir uns um 12.30 ins Tal verabschieden, wartet der Arme immer noch auf Rettung. Das Wetter ist uns nun glücklicherweise hold, so dass wir trockenen Fußes das Tal erreichen. Unten dann die Überraschung: Die Bergrettung hat sich an der Talstation des Lastenaufzugs der Kasseler Hütte postiert. Unsere Nachfrage ergibt tatsächlich, dass der Verletzte mit dem Lastenkorb zu Tal gebracht wird. Und wirklich schwebt dieser kurz darauf hoch über unseren Köpfen zu Tal und winkt uns dabei freundlich zu.

Der Lastenkorb mit dem Verletzten (nicht erkennbar auf dem Foto)

Ab der Grüne-Wand-Hütte können wir dann mit dem Hüttentaxi für 10 Euro pro Person das 12 Kilometer lange Tal bis Mayrhofen überbrücken, so dass wir noch ausreichend Zeit haben, uns eine Bleibe für die Nacht zu suchen. Mit dem Posthotel Mayrhofen sind wir sofort fündig und sogar die Sauna wird eigens für uns angeworfen. Im Restaurant Edelweiß findet unsere Wanderwoche abends bei Burger & Pizza ihren gemütlichen Ausklang.
Die Heimfahrt gestaltet sich völlig unspektakulär. Alle Züge sind pünktlich! Lediglich ein dreistündiger Zwischenaufenthalt in Jenbach erbringt, dass dieser Ort keinen(!) Besuch wert ist.

Fazit

Für mich persönlich war diese Wanderwoche das Highlight des Jahres. Die Stille wirken lassen. Sich der Einsamkeit hingeben. Die Elemente Feuer, Luft, Wasser, Erde hautnah erleben. Den Körper richtig in Schwung bringen. Die eigenen Grenzen erfahren. Den Blick in die Ferne schweifen lassen. Die ungetrübte Freude am Erreichten genießen. Menschen ungefragt mit „Du“ anreden, ohne dass sie es einem krumm nehmen. Gemütliche Hüttenabende verbringen bei gutem Essen und Trinken, Gesprächen und Spielen. Das alles kann man (nur) in den Bergen erleben. Ich bin noch ganz erfüllt von den Erlebnissen und Eindrücken, die ich dort erfahren und sammeln durfte. Solche Aus-Zeiten sind wirklich wichtig, in welcher Form auch immer. Noch wichtiger ist, dass man sie sich nimmt. Gut erholt und mit neuer Kraft kann es nun für mich in den Herbst gehen.